Zunächst wollen wir klarstellen, dass das Haus nicht als politische Gruppe mit einer einheitlichen Ideologie oder Praxis funktioniert. In den verschiedenen Kollektiven und Wohnungen des Hauses haben sich einige gefunden, die Fragen zu bearbeiten, unter dem Ziel, die politische Linie des Hauses ungefähr abzubilden. Dabei haben wir uns an Grundsätzen entlang gehangelt, die sich in unseren alltäglichen Kämpfen und Diskussionen seit Jahren herauskristallisiert haben.
1. Seit vielen Jahren verteidigt ihr euer Wohnen mit militanten Mitteln. Wie hat sich die Nachbarschaft in Reaktion auf eure Militanz entwickelt? Wo seht ihr Grenzen für eine Solidarisierung, z.B. hinsichtlich des Stresslevels?
Wir finden es immer wieder wichtig klar zu stellen, dass unser politisches Handeln nicht auf die Verteidigung unseres Wohnraums in der Rigaer Straße 94 abzielt. Des Weiteren setzt eine starke militante Politik um unser Haus und unseren Kiez voraus, dass sie von mehr als diesem einen Haus und seinen jeweiligen Bewohner*innen getragen wird. Einschätzungen über die Reaktionen der Nachbar*innenschaft auf die offene Militanz im Kiez können wir natürlich nur anhand des Feedback
machen, welches uns auch erreicht. Umso mehr wir im Alltag auf der Straße sind, vor den Türen oder auf dem Dorfplatz, umso mehr Ansprechbarkeit folgt daraus von Seiten verschiedenster Nachbar*innen. Der Weg in unsere Küfa oder zu Veranstaltungen stellt eine weitaus größere Hürde dar.
Über die Jahre hat sich unser Verhältnis, nicht nur persönlich sondern auch strategisch, zu unseren Nachbar*innen verändert. Spätestens mit dem Gefahrengebiet 2015 sind die Nachbar*innen direkt mit Bullenschikanen konfrontiert gewesen. Aus dieser Betroffenheit heraus hat sich sicherlich auch ein weiteres Verständnis für unser Handeln ergeben. Mit
diversen Zwangsräumungen in den letzten Jahren haben vielleicht auch viele Anwohner*innen des Nordkiezes ihre eigene Situation erfasst und erkennen müssen, dass Verdrängung durch Luxussanierung und Neubau auch für sie eine reale Gefahr sein können. Feuer am Dorfplatz, Farbwürfe und Steine auf Bullen, Angriffe auf Nazis oder das Bemalen und Bekleben der Wände des Kiezes haben natürlich Einfluss auf unsere Nachbar*innen.
Positives Feedback aber kommt im Alltag meist nur von denjenigen, die auch selbst politisch aktiv sind, unsere Küfa besuchen oder einen persönlichen Bezug haben zu der Straße oder unseren Kampffeldern. Auf versehentlich in Mitleidenschaft gezogene Anwohner*innenautos werden wir als Hausbewohner*innen dagegen oft direkt angesprochen. Eine
generelle Entsolidarisierung konnten wir aufgrund solcher Fälle jedoch nicht beobachten. In Extremfällen wie Razzien oder dem Räumungsversuch 2016 zeigt sich dann wiederum, dass die Solidarität, wenn es hart auf hart kommt, auch außerhalb der Hausprojekte ganz praktisch sein kann. Es ist spannend zu beobachten, dass eine gewisse Normalität den Aktionen zugesprochen wird, die wir in den Straßen um den Dorfplatz eingeführt haben oder regelmäßig veranstalten. Wenn dann mal Eier auf Baustadtrat Florian Schmidt geworfen werden, sich von Dächern abgeseilt oder Feuer in der Mitte des Dorfplatzes entzündet wird, laufen die Menschen vorbei, manche mit Stirnfalten und andere fragen interessiert, was wir denn heute hier machen. Angst, uns an zu sprechen oder Angst vor den Aktionen selbst, haben tatsächlich nur diejenigen, die sich selbst als unsere Feinde erkennen.
Natürlich ist ein Kiez wie unserer sehr heterogen und neben Szeneprojekten, Autonomen und solidarischen Nachbar*innen wohnen hier auch Menschen, deren politische Ansichten und deren unsolidarisches Handeln nicht in das Konzept eines „solidarischen Nordkiezes“ passen. Wir wissen, dass es Nachbar*innen gibt, die sich als Bullenspitzel anbieten oder als Parteigänger*innen versuchen, die Nachbar*innenschaft zu spalten. Hier ist es uns wichtig auch politisch gegen zu halten und ihrem Konzept des „Rechtsstaates“ ein Verständnis von Solidarität und Selbstverwaltung entgegen zu setzen.
2. Wertet ihr es als Erfolg einer militanten Zuspitzung, wenn sich der Bauunternehmer Christoph Gröner als Chef der CG-Gruppe nur noch unter Polizeischutz eurer Nachbarschaft nähert? Wie wirken Angriffe auf CG-Baustellen andererorts oder der Angriff auf seine Privatwohnung eurer Meinung nach?
Wir wissen nicht genau, ob sich Christoph Gröner ausschließlich mit Polizeischutz im Kiez bewegt. Es ist jedoch bekannt, dass er dies zumindest bei größeren Veranstaltungen der CG-Gruppe in unserem Kiez tut. Dies sehen wir sehr wohl als Ergebnis einer militanten Zuspitzung in Kombination mit öffentlichen Aktionen der Nachbar*innen. Ob es jedoch als Erfolg gewertet werden kann, ist eine andere Frage und können wir als Haus auch nicht beurteilen.
Um eine Kampagne gegen die CG-Gruppe als erfolgreich zu bewerten, denken wir, ist weit mehr notwendig. Im Kiez haben sich mehrere Nachbar*innen-Gruppen gegen CG aus Kiezversammlungen heraus gegründet. Die Gruppen sind immer noch aktiv und tragen den größten Teil der anhaltenden Auseinandersetzung hier in der Straße. Was sicherlich klarer als Erfolg dieser Kampagne gesehen werden kann, ist die breite Ablehnung gegen den Neubau der CG-Gruppe im Nordkiez. Jedoch müssen wir auch erkennen, dass wir als Haus in Bezug auf die Verhinderung der Neubauten keinen langen Atem gezeigt haben.
Ein erfreulicher Punkt ist die überregionale Bezugnahme aufeinander. Auch außerhalb der Rigaer Straße, außerhalb von Berlin kam es zu Angriffen gegen die CG-Gruppe. Es zeigt eine gewisse Stärke auf, dass an vielen Orten zugeschlagen wird. So war es auch ein überregionales Signal an Investor*innen, als in Köln die Privatwohnung von Christoph Gröner
angegriffen wurde und es in Leipzig an Baukränen brannte. Ob der spezifische Kampf gegen die CG-Gruppe in der Straße ein Fokus bleibt, ist für uns offen, eine militante Begleitung dieses Kampfes fänden wir wichtig.
Christoph Gröner ist zum Einen ein extrem aggressiver Investor, zum Anderen auch jemand, der es genießt, in der Öffentlichkeit zu stehen und dem dabei eine schlechte Reputation egal ist. Wir können sagen, dass die Militanz nur eine Ebene der politischen Auseinandersetzung ist und dass eine Personifizierung des Kampfes in Form von Christoph Gröner bei einem derartigen Egozentrismus schwierig ist und wenn, dann in aller Konsequenz umgesetzt werden müsste.
3. Die Hohe Anzahl von Angriffen auf Büros und Firmenfahrzeuge des größten Vermieters Vonovia sorgt für viel Diskussion in den Medien. Was kann eine primär militant vorgetragene Forderung nach bezahlbarem Wohnraum erreichen?
Das Wissen darüber, welche Rolle Vonovia in Berlin und bundesweit auf dem Wohnungsmarkt spielt, glauben wir, ist unter anderem erst mit den militanten Angriffen entstanden. Militant hieß vor allem, Reifen zerstechen, Graffiti und teilweise auch mit Feuer. Das ist mit Sicherheit ein wichtiger Beitrag: die Aufmerksamkeit auf jene zu lenken, die in großem Stil Profite machen und durch den beträchtlichen Anteil an Wohnraum großen politischen Einfluss haben müssen.
Es ist natürlich immer eine Frage der Stimmung und auch Politik, welche militanten Kampagnen in der Medienlandschaft skandalisiert werden und welche nicht. Vonovia wurde bundesweit und in regelmäßigen Abständen zum Angriffsziel militanter Akteur*innen. Da konnte die Presse in Zeiten der Wohnraumfrage nicht weg schauen. Dass das Thema dann aufgegriffen wird und Vonovia als Angriffsziel auch in bürgerlichen Kreisen auserkoren wurde, ist ein Erfolg.
Wir glauben, dass jene militanten Angriffe dann fruchten, wenn das Klima in der Stadt verspricht, die Angriffe in stadtpolitische Kämpfe zu integrieren. Da in den letzten zwei Jahren in Berlin die Wohnraumfrage permanent in den Medien aufgegriffen wird, denken wir, dass militante Angriffe in diesem Kontext zwei Dinge erreichen: Sie zeigen, dass der Dialog mit der Politik oder die Forderung an einen Konzern nettere Mietenpolitik zu betreiben, nicht funktioniert, ohne ein entsprechendes Drohszenario dahinter aufzubauen. Es geht dabei nicht zwingend um den Sachschaden, aber um den Imageschaden und die Verknüpfung des einen Konzerns mit jenen Angriffen. Zum anderen erreichen fokussierte militante Angriffe durch ihren Bezug zu statt findenden Kämpfen und Bedürfnissen eine Legitimation und Akzeptanz, die zu anderen Zeiten oder Themen in der BRD leider oft fehlt.
Wir können aber nicht an Stelle der verschiedenen militanten Zusammenhänge sprechen, die sich an den Angriffen gegen Vonovia beteiligt haben. Wenn wir ihre Texte lesen, dann geht es z.B. darum, „das Eigentum von Vonovia massenhaft zu zerstören, um unseren Widerstand weiterzuentwickeln.“ In einem gänzlich anderen Text haben wir zu unserem Erstaunen tatsächlich die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum gefunden. Die Erklärung zum Brandanschlag auf zwei Autos endet mit der Parole „Keine Rendite mit der Betriebskostenabrechnung!“. Erstaunt sind wir deshalb, weil unser erster Reflex beim Lesen der Frage eigentlich war, zu behaupten, es gäbe keine militant vorgetragene Forderung nach bezahlbarem Wohnraum.
Für uns ist gerade nicht erkennbar, ob die Frequenz der Angriffe auf Vonovia gehalten werden kann. Möglicherweise war dies nur ein kurzes Phänomen, wie die meisten autonomen Kampagnen. Viel interessanter als die Auswahl der Zielobjekte ist daher eigentlich die Kontinuität und Verbreitung des anarchistischen Kampfes. Vielleicht waren die Angriffe auf Vonovia auch nur Element einer andauernden Suche nach dem einen besonderen Objekt des gesellschaftlichen Zornes, dessen Zerstörung endlich eine schlagartige Vermassung der Form des Kampfes herbeiführt, welche wiederum zu einer Ausbreitung des politischen Bewusstseins in der Gesellschaft gelangt. Ein anschauliches Beispiel dafür ist auch die Kampagne gegen Uber, die nur deswegen so interessant ist, weil wir an eine kollektive Abneigung gegen die smarten Leihräder und -roller glauben.
Wir sind selbst nicht der Meinung, dass es aus militanter Perspektive dauerhaft Sinn macht, reformistische Forderungen zu lancieren. Aus taktischen Gründen kann man dies hier und da tun, doch wie in der Frage zum Bündnis gegen Zwangsräumungen weiter unten angedeutet, stehen wir für mehr klare Positionierung, da diese gerade im deutschsprachigen Raum fast nicht zu finden ist.
4. Wie wertet ihr die starke Teilnahme bei der Berliner Demo gegen den Mietenwahnsinn? Seht ihr nach den letzten fünf Jahren eine echte Verbreiterung der Basis für Wohnraumkämpfe?
Vor allem in den letzten zehn Jahren würden wir von einer enormen Veränderung der Wohnraumsituation in Berlin sprechen. Die Stadt ist attraktiv für Immobilienspekulation, die Mieten explodieren, Leerstand oder Brachflächen sind kaum noch zu finden. Das Image der kreativen Stadt zieht Tech-Unternehmen und Start-Ups an wie der Honigstock die Biene. Dadurch, dass immer mehr Menschen, bis in eine zahlungskräftige Schicht hinein, von den Auswirkungen kapitalistischer Stadtpolitik betroffen sind, steigt auch die Teilnahme an den jährlich stattfindenden großen Protestaktionen von bürgerlicher Seite. Waren es 2017 noch um die 1.500 Menschen, die unter dem Motto „Wem gehört die Stadt? – Gegen hohe Mieten und Zwangsräumungen“ zusammen kamen, so beteiligten sich 2018 ca. 25.000 und 2019 um die 40.000 Leute an den Mietenwahnsinn-Demos.
Man könnte also meinen, dass sich die Basis für Wohnraumkämpfe verbreitert hat. Die zahlenmäßig große Beteiligung an den Demos kann aber nicht mit der Qualität der Bewegung gleichgesetzt werden. Sie hat die Tendenz zur Spaltung, Vereinnahmung und Befriedung. Das Vertrauen in die Demokratie und ihre Vertreter*innen ist teilweise so stark, dass Forderungen an die Politik gestellt werden und lokale Politiker*innen durch eine vermeintliche Nähe zur Basis, der Teilnahme an Demos oder zahlreichen Versprechen, in der Bewegung Fuß fassen können. So kommt es nicht dazu über die Thematisierung des Grundbedürfnisses an Wohnen hinaus die Eigentumsfrage zu stellen. Unter dem Baustadtrat Florian Schmidt kauft der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zahlreiche Häuser, in denen sich Mieter*innen anfangen gegen den Anstieg der Mieten zu organisieren. Auch der Berliner Senat beteiligte sich zum Beispiel mit dem Kauf von 670 Wohnungen in der Karl-Marx-Allee durch die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag. Dort wollte die Deutsche Wohnen kaufen, die auch bereits mit militanten Mitteln angegriffen wurde. Das staatliche Ziel, einen breiteren Widerstand zu vereinnahmen, ist dort aufgegangen. Die Befriedung funktioniert, denn bevor sich die Mieter*innen mit anderen Initiativen vernetzen und selbst organisieren, steht der Heilsbringer der Politik schon mit auf ihrer Kundgebung. So ist der Begriff „Immobilienhai“ weit verbreitet, gleichzeitig zeichnen Kampagnen wie „Deutsche Wohnen Enteignen“ oder jene zum Berliner Mietenvolksentscheid 2016 ein Bild der Notwendigkeit staatlichen Eingreifens gegen eine ungezügelte Immobilienbranche. Der Berliner Mietendeckel ist eine weitere Reaktion der rot-rot-grünen Regierung auf die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung.
Gefährlich sind zudem manche Initiativen, wie Bizim Kiez, die lieber mit der Politik zusammen arbeiten und das auch noch als Organisierung von unten verstehen. Durch die Distanzierung von der Anwendung von Gegengewalt, unterstützen sie die Spaltung eines vielfältigen Zusammenschlusses in einen „guten“ und „bösen“ Widerstand. Dieser Spaltung muss entgegen gewirkt werden, wenn wir an einer echten Basis für Wohnraumkämpfe arbeiten wollen.
Andere Initiativen wie Zwangsräumung verhindern arbeiten daran, von der Vereinzelung zur Organisierung überzugehen. Menschen zu aktivieren, sich an den kontinuierlichen Kämpfen zu beteiligen, funktioniert jedoch nicht im großen Stil. Vielleicht ist das Ohnmachtsgefühl zu groß und der Mut, sich einer hochgerüsteten Polizei und einem perfektionierten Bürokratieapparat entgegen zu stellen, fehlt. Das Gefühl zu stärken, dass es sich lohnt, gemeinsam gegen das System zu kämpfen, dass sich daraus starke soziale Beziehungen und Netzwerke der Solidarität entwickeln können, ist unabdingbar.
5. Sind die kontinuierlichen und militanten Alltagsauseinandersetzungen um Wohnraum eine Berliner Eigenart, oder sind die Kämpfe in Leipzig, München, Hamburg, Bremen und Köln ähnlich verfasst?
Berlin ist aufgrund der Hausbesetzungsgeschichte der 1980er und 1990er Jahre speziell. Viele der damals besetzten Häuser und Projekte beteiligen sich zwar nicht mehr wahrnehmbar am lokalen Widerstand gegen die kapitalistische Stadt, einige wie unser Haus oder unsere Nachbarin, die Liebig34, sind jedoch Teil antagonistischer Kämpfe und versuchen dies in den Kiez auszustrahlen. Auseinandersetzungen um rebellische Kieze und die Bildung von Gefahrengebieten für Bullen, Nazis, Investor*innen und andere Feinde der Freiheit sehen wir jedoch auch in Leipzig-Connewitz. Auch dort siedelten sich viele Linke, Student*innen, Antiautoritäre an, unter anderem, da der Wohnraum momentan noch vergleichsweise günstig ist. Im Gegensatz zu einer Stadt wie München oder auch Hamburg, in denen die Wohnraumpreise schon seit langem stabil hoch sind, befinden sich Städte wie Berlin oder Leipzig noch in einer steigerbaren Phase der kapitalistischen Verwertung des Raumes. Dadurch könnte man sagen, dass die Auseinandersetzung alltäglicher ist.
Wir sehen Städte jedoch generell als menschenfeindliche Orte an, sofern wir davon ausgehen, dass ein menschliches Zusammenleben mit solidarisch, kollektiv und selbstorganisiert gleichgesetzt werden kann. Deswegen ist es kein Berliner Phänomen, dass sich kontinuierlich und militant mit der Frage um Wohnraum oder der Entstehung oder Erhaltung emanzipatorischer Inseln auseinandergesetzt wird. Aus allen Städten, die ihr genannt habt (und darüber hinaus auch aus kleineren Städten), lesen wir nämlich immer wieder von militanten Angriffen auf Immobilienfirmen oder kontinuierlicher antiautoritärer Propaganda durch Graffiti, von Besetzungen und kleinen, feinen Demos, die die Regeln der Beherrschbarkeit durchbrechen. Der Austausch von Erfahrungen und Analysen über die jeweiligen Stadtgrenzen hinaus, ist dabei sicher noch ausbaubar.
6. In vielen Städten gibt es szenetypische Besetzungen um autonome Freiräume durchzusetzen. Wie eng sind diese Besetzungen eurer Meinung nach eingebettet in die Kämpfe um Wohnraum für alle?
Wir denken, da sieht es von Ort zu Ort unterschiedlich aus. Wenn zum Beispiel in vom Braunkohleabbau bedrohten Dörfern und Kleinstädten Häuser besetzt werden, auch explizit mit dem Ziel, sich damit dort eine Basis zu schaffen, stellt sich bei den meisten Nachbar*innen gar nicht erst die Frage, ob das auch Teil ihres Kampfes ist. So sieht es wohl auch in anderen Nachbarschaften, in denen es eine breite direkte Betroffenheit gibt, aus. Schon einige Male haben sich auch
Zusammenschlüsse von Menschen, aus von Entmietung, Sanierung und Mietsteigerung bedrohten Wohnhäusern, explizit in der Hoffnung, leerstehende Wohnungen in ihrem Haus könnten besetzt werden, an uns oder andere als szenezugehörig wahrgenommene Zusammenhänge gerichtet. Das sehen wir als klares Zeichen dafür, dass Besetzungen zumindest von ihnen
als Teil eines Kampfes für Wohnraum wahrgenommen werden. Sicher richten sich einige Besetzungen auch primär gar nicht an
Nachbar*innen und eine breitere von Gentrifizierung und städtischer Wohnungspolitik betroffene Masse, sondern suchen zunächst eigene Räume und Handlungsoptionen zu schaffen. In wie fern dies von Anderen als Teil eines breiteren Kampfes für Wohnraum empfunden bzw. in diesen Kontext gestellt wird, bleibt dann ihnen überlassen. Generell würden wir sagen, dass zumindest in letzter Zeit auch dann der Bogen dahin oft geschlagen wird.
Auf Berlin bezogen sind wir uns nicht ganz einig. Einerseits wurde durch das gehäufte Auftreten neuer Besetzungsversuche und dem Ansatz, offen aufzutreten zu Zeiten eines generell gesteigerten medialen Interesses an der Wohnungsproblematik, eine breite Öffentlichkeit weit über Szeneränder hinaus erreicht und Besetzungen in aller Munde gebracht. Andererseits sind einige der Meinung, dass Hausbesetzungen speziell in Berlin schon lange mit der Thematik des Mietenkampfes verbunden sind und zumindest in Alltagsgesprächen und Diskussionen stets als Lösungsansatz wahrgenommen wurden. Der Schritt zur Praxis ist aber meist ein großer und da sehen einige von uns in der Vermassung und dem partizipativen
Ansatz eine große Chance, solange es Erfolgsbeispiele gibt. Mit szenetypischen Besetzungen sind wahrscheinlich #besetzen und ähnliche Arten der Besetzungen, die es schon so lange wir denken können immer wieder gibt, gemeint. Dabei werden Räumlichkeiten besetzt, im Wissen, dass man sie in der momentanen Situation nicht gegen den Staat verteidigen kann. Sie zielen stattdessen darauf ab, eine breitere Bewegung zu schaffen, die eines Tages genug Kraft hat, die Handlungsoptionen des Staates so weit zu reduzieren, dass er tatsächlich Raum verliert, wenn wir ihn uns nehmen. Die Besetzungen sind also in erster Linie ein Mittel der Propaganda so wie praktisch alle Demonstrationen, Anschläge, Texte und Plakate. Szenig wirken sie für uns nur dann, wenn die staatliche Propaganda es schafft, uns davon zu überzeugen, dass sie ausschließlich einen identitätsstiftenden Charakter haben. Das ist um so leichter, je weniger Erfahrung und politisches Bewusstsein die involvierten Militanten haben, da die Vermittlung des politischen Sinnes hinter dieser Aktionsform nicht so einfach ist. Schließlich zieht sie immer eine Menge an Verfahren nach sich und greifbare, räumliche Erfolge sind bisher ausgeblieben. Die Militanz der Aktionsform sehen wir so lange, als dass sie nicht ihren Endpunkt in Verhandlungen mit dem Staat sieht und sich somit zum Spielball der Politik macht.
Wir wissen aber natürlich auch, dass die Szeneidentität eine große Rolle bei der Politisierung von Menschen spielt. Das große Interesse und die Partizipation, die sicher auch dem offenen Charakter zu verdanken sind, sehen wir als Teilerfolg.
Wir hoffen dass der Elan zu Neubesetzungen nicht verloren geht und die Szene als Anknüpfungspunkt genutzt wird, um sich über Erfahrungen und Konzepte auszutauschen und Perspektiven und Einschätzungen zu diskutieren. Die Einbettung von eher symbolischen Besetzungen in weiter gefasste Kämpfe ist so für uns leicht erkennbar, schließlich ist die Szene eine
politische Subkultur, zu deren großen Themen eben auch die Frage nach Wohnraum zählt.
7. Was ist euer Verhältnis zu Akteuren wie dem Bündnis gegen Zwangsräumungen?
Die vom Zwangsräumungsbündnis hatten im Jahr 2013 ihre Finger im Spiel, als wir kurze Zeit das Gefühl hatten, eine Bewegung zu werden. Der Zwangsräumung von Ali Gülbol in der Lausitzer Straße war ein Moment des koordinierten Gegenangriffs gegen die aggressive Politik der Gentrifizierung in Berlin. Die brennenden Straßensperren und die handgreiflichen Auseinandersetzungen mit den Bullen sind vielen von uns noch in Erinnerung. Oft wurde danach diskutiert, wie das passieren konnte und warum die folgenden Zwangsräumungen nicht noch mehr Widerstand hervorriefen. Vermutlich konnten die Akteure, auch das Zwangsräumungsbündnis, einfach nicht die eigene Stärke realisieren. Zusätzlich reagierten die Herrschenden klug, indem sie mit einigen äußerst brutalen Angriffen auf die folgenden Demos und Aktionen neu gewonnene Leute terrorisierten. Auch das wurde nicht rechtzeitig realisiert. Damit nahm aus unserer Sicht die Bedeutung des Themas Zwangsräumungen und auch des Bündnisses gegen Zwangsräumungen ab.
Unser Verhältnis zum Bündnis ist nach wie vor gut. Wir haben persönliche Kontakte, politisch jedoch wenige Schnittpunkte, was natürlich daran liegt, dass wir mit unserer Raumnahme das erklärte Ziel verfolgen, den Staat zu beseitigen, während das Zwangsräumungsbündnis ohne eigenes Territorium versucht, in bürgerlichen Sphären Empörung zu erzeugen. Wir wissen von keinen Äußerungen ihrerseits, die auf revolutionäre Ziele hindeuten. In ihrem Selbstverständnis auf ihrer Website wollen sie „eine Stadt für alle“ – ein Wunsch, den wir nicht teilen können. Wir wollen (um nur ein paar zu nennen) Nazis, Bullen, Investor*innen und Bonzen aus den Kiezen jagen. Dennoch sind wir geneigt, die radikale Intervention des Bündnisses in bürgerliche Kreise zu dessen Politisierung als sinnvollen Ansatz zu sehen, der seine Stärke eben 2013 gezeigt hat, sich langfristig aber nicht behaupten konnte.
Der folgenden Textpassage aus einem aktuellen Aufruf des Bündnisses gegen den Immobilien-Lobby-Kongress „Quo Vadis 2020“ zum Beispiel stimmen wir zu: „Wir wollen keine Gesellschaft in der die Wenigen auf Kosten der Vielen leben, […] in der Menschen Angst um ihre Wohnung haben müssen und hunderttausende wohnungslos sind. Deshalb kämpfen wir auch weiter für ganz andere gesellschaftliche Verhältnisse.“ Offen bleiben für uns, wie bei den meisten stadtpolitischen Gruppen auch, beim Bündnis gegen Zwangsräumungen die Fragen nach erstrebenswerten gesellschaftlichen Verhältnissen sowie Strategien für den Weg dorthin. Intransparenz ist unserer Meinung nach oft bewusste politische Taktik und verhindert das Vordringen zu Fragen der Organisierung und der gemeinsamen Praxis.
8. Was haltet ihr von der Kampagne „Deutsche Wohnen enteignen“? Wird hier strategisch geschickt und provokativ die Eigentumsfrage gestellt, oder meint enteignen hier den propagandistischen (teuren) Rückkauf von Wohnungen?
Wir haben über die letzten Jahre sehr deutlich gemacht, dass wir rein gar nichts davon halten, sich mit Politiker*innen an gemeinsame Tische zu setzen, noch Forderungen an die Regierung zu stellen. Diese klare Entscheidung und Warnung davor, sich auf ihre Annäherungsversuche einzulassen, sehen wir tagtäglich in den stetigen Versuchen des Senats bestätigt, unseren Kiez zu befrieden.
Das kapitalistische System beruht auf Eigentumsverhältnissen. Das heißt, dass einige wenige etwas besitzen und alle anderen für jene Dinge bezahlen müssen, welche zu Waren gemacht wurden. Zum Beispiel für Wohnraum. Der rot-rot-grüne Senat steht für die Aufrechterhaltung dieses Systems mit smarterem Image, sodass auch mal ein Mietendeckel eingeführt wird oder Wohnungen für gigantische Beträge zurück gekauft werden, die einige Jahre zuvor erst an Konzerne von jenen Parteien verschenkt wurden. Das ist es, wofür Politik für uns steht und das ist das Feld dieser Kampagne.
Wir sind für die Abschaffung aller Eigentumsverhältnisse. Als Aktive in dieser Straße stellen wir diese Forderung nicht im Rahmen staatlicher Organisierung und auch nicht in der Hoffnung auf gute Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft und Stadt-Bewohner*innen. Wir können als Feinde dieser Ordnung nicht daran glauben, durch Reformen im System das System selbst zu zerstören. Das ist aber unser Ziel. Eine Befriedung unserer Gedanken und Kämpfe ist hierbei der größte Stein, der uns immer wieder in den Weg gelegt wird. Genau dieser Versuch, breit aufgestellte Gegner*innen der Stadtpolitik an einen Tisch zu bringen und zu beruhigen, sehen wir in dieser Kampagne als große Gefahr. Geschickt und provokativ gewählt, scheint uns dabei der Begriff der „Enteignung“ allemal, indem er impliziert, dass der Erfolg darin liegen würde, Eigentumsverhältnisse zurecht zu rücken und Wohnraum „zurück“ in die Hände der Bewohner*innen zu geben. Er impliziert die Möglichkeit einer sozialen Stadtpolitik, menschen-freundlicher Konzerne und guter Politiker*innen innerhalb dieses Systems. Ein Konzern wie Deutsche Wohnen ist aber kein besonders schlechter Konzern. Er spielt nach den Regeln des Systems. Ob die Eigentumsverhältnisse bei diesem liegen oder bei einer städtischen Wohnungsgesellschaft ist nicht der Punkt, an dem wir uns abarbeiten wollen.
Wir befürworten natürlich eine breit aufgestellte Bewegung um die Wohnraumfrage. Aber wir müssen immer wieder daran arbeiten, zu verbreiten, dass die Eigentumsfrage nur von unten gestellt werden kann und niemals im Einvernehmen mit Politik oder Konzernen einhergehen wird. Daher begrüßen wir militante Angriffe zu Deutsche Wohnen oder auch Vonovia und würden sie gerne in einem Atemzug mit anderen Initiativen aufgezählt sehen. Sodass eine Mietenwahnsinn-Demo solidarisch zusammen steht und sich die Akteur*innen gegenseitig beeinflussen, statt sich die Luft raus nehmen zu lassen von Befriedungstendenzen.