2.5 Fragen an einige Aktivist*innen der Rigaer Str. 94 in Berlin

2.5 Fragen an einige Aktivist*innen der Rigaer Str. 94 in Berlin

Zunächst wollen wir klarstellen, dass das Haus nicht als politische Gruppe mit einer einheitlichen Ideologie oder Praxis funktioniert. In den verschiedenen Kollektiven und Wohnungen des Hauses haben sich einige gefunden, die Fragen zu bearbeiten, unter dem Ziel, die politische Linie des Hauses ungefähr abzubilden. Dabei haben wir uns an Grundsätzen entlang gehangelt, die sich in unseren alltäglichen Kämpfen und Diskussionen seit Jahren herauskristallisiert haben.

1. Seit vielen Jahren verteidigt ihr euer Wohnen mit militanten Mitteln. Wie hat sich die Nachbarschaft in Reaktion auf eure Militanz entwickelt? Wo seht ihr Grenzen für eine Solidarisierung, z.B. hinsichtlich des Stresslevels?

Wir finden es immer wieder wichtig klar zu stellen, dass unser politisches Handeln nicht auf die Verteidigung unseres Wohnraums in der Rigaer Straße 94 abzielt. Des Weiteren setzt eine starke militante Politik um unser Haus und unseren Kiez voraus, dass sie von mehr als diesem einen Haus und seinen jeweiligen Bewohner*innen getragen wird. Einschätzungen über die Reaktionen der Nachbar*innenschaft auf die offene Militanz im Kiez können wir natürlich nur anhand des Feedback

machen, welches uns auch erreicht. Umso mehr wir im Alltag auf der Straße sind, vor den Türen oder auf dem Dorfplatz, umso mehr Ansprechbarkeit folgt daraus von Seiten verschiedenster Nachbar*innen. Der Weg in unsere Küfa oder zu Veranstaltungen stellt eine weitaus größere Hürde dar.

Über die Jahre hat sich unser Verhältnis, nicht nur persönlich sondern auch strategisch, zu unseren Nachbar*innen verändert. Spätestens mit dem Gefahrengebiet 2015 sind die Nachbar*innen direkt mit Bullenschikanen konfrontiert gewesen. Aus dieser Betroffenheit heraus hat sich sicherlich auch ein weiteres Verständnis für unser Handeln ergeben. Mit

diversen Zwangsräumungen in den letzten Jahren haben vielleicht auch viele Anwohner*innen des Nordkiezes ihre eigene Situation erfasst und erkennen müssen, dass Verdrängung durch Luxussanierung und Neubau auch für sie eine reale Gefahr sein können. Feuer am Dorfplatz, Farbwürfe und Steine auf Bullen, Angriffe auf Nazis oder das Bemalen und Bekleben der Wände des Kiezes haben natürlich Einfluss auf unsere Nachbar*innen.

Positives Feedback aber kommt im Alltag meist nur von denjenigen, die auch selbst politisch aktiv sind, unsere Küfa besuchen oder einen persönlichen Bezug haben zu der Straße oder unseren Kampffeldern. Auf versehentlich in Mitleidenschaft gezogene Anwohner*innenautos werden wir als Hausbewohner*innen dagegen oft direkt angesprochen. Eine

generelle Entsolidarisierung konnten wir aufgrund solcher Fälle jedoch nicht beobachten. In Extremfällen wie Razzien oder dem Räumungsversuch 2016 zeigt sich dann wiederum, dass die Solidarität, wenn es hart auf hart kommt, auch außerhalb der Hausprojekte ganz praktisch sein kann. Es ist spannend zu beobachten, dass eine gewisse Normalität den Aktionen zugesprochen wird, die wir in den Straßen um den Dorfplatz eingeführt haben oder regelmäßig veranstalten. Wenn dann mal Eier auf Baustadtrat Florian Schmidt geworfen werden, sich von Dächern abgeseilt oder Feuer in der Mitte des Dorfplatzes entzündet wird, laufen die Menschen vorbei, manche mit Stirnfalten und andere fragen interessiert, was wir denn heute hier machen. Angst, uns an zu sprechen oder Angst vor den Aktionen selbst, haben tatsächlich nur diejenigen, die sich selbst als unsere Feinde erkennen.

Natürlich ist ein Kiez wie unserer sehr heterogen und neben Szeneprojekten, Autonomen und solidarischen Nachbar*innen wohnen hier auch Menschen, deren politische Ansichten und deren unsolidarisches Handeln nicht in das Konzept eines „solidarischen Nordkiezes“ passen. Wir wissen, dass es Nachbar*innen gibt, die sich als Bullenspitzel anbieten oder als Parteigänger*innen versuchen, die Nachbar*innenschaft zu spalten. Hier ist es uns wichtig auch politisch gegen zu halten und ihrem Konzept des „Rechtsstaates“ ein Verständnis von Solidarität und Selbstverwaltung entgegen zu setzen.

2. Wertet ihr es als Erfolg einer militanten Zuspitzung, wenn sich der Bauunternehmer Christoph Gröner als Chef der CG-Gruppe nur noch unter Polizeischutz eurer Nachbarschaft nähert? Wie wirken Angriffe auf CG-Baustellen andererorts oder der Angriff auf seine Privatwohnung eurer Meinung nach?

Wir wissen nicht genau, ob sich Christoph Gröner ausschließlich mit Polizeischutz im Kiez bewegt. Es ist jedoch bekannt, dass er dies zumindest bei größeren Veranstaltungen der CG-Gruppe in unserem Kiez tut. Dies sehen wir sehr wohl als Ergebnis einer militanten Zuspitzung in Kombination mit öffentlichen Aktionen der Nachbar*innen. Ob es jedoch als Erfolg gewertet werden kann, ist eine andere Frage und können wir als Haus auch nicht beurteilen.

Um eine Kampagne gegen die CG-Gruppe als erfolgreich zu bewerten, denken wir, ist weit mehr notwendig. Im Kiez haben sich mehrere Nachbar*innen-Gruppen gegen CG aus Kiezversammlungen heraus gegründet. Die Gruppen sind immer noch aktiv und tragen den größten Teil der anhaltenden Auseinandersetzung hier in der Straße. Was sicherlich klarer als Erfolg dieser Kampagne gesehen werden kann, ist die breite Ablehnung gegen den Neubau der CG-Gruppe im Nordkiez. Jedoch müssen wir auch erkennen, dass wir als Haus in Bezug auf die Verhinderung der Neubauten keinen langen Atem gezeigt haben.

Ein erfreulicher Punkt ist die überregionale Bezugnahme aufeinander. Auch außerhalb der Rigaer Straße, außerhalb von Berlin kam es zu Angriffen gegen die CG-Gruppe. Es zeigt eine gewisse Stärke auf, dass an vielen Orten zugeschlagen wird. So war es auch ein überregionales Signal an Investor*innen, als in Köln die Privatwohnung von Christoph Gröner

angegriffen wurde und es in Leipzig an Baukränen brannte. Ob der spezifische Kampf gegen die CG-Gruppe in der Straße ein Fokus bleibt, ist für uns offen, eine militante Begleitung dieses Kampfes fänden wir wichtig.

Christoph Gröner ist zum Einen ein extrem aggressiver Investor, zum Anderen auch jemand, der es genießt, in der Öffentlichkeit zu stehen und dem dabei eine schlechte Reputation egal ist. Wir können sagen, dass die Militanz nur eine Ebene der politischen Auseinandersetzung ist und dass eine Personifizierung des Kampfes in Form von Christoph Gröner bei einem derartigen Egozentrismus schwierig ist und wenn, dann in aller Konsequenz umgesetzt werden müsste.

3. Die Hohe Anzahl von Angriffen auf Büros und Firmenfahrzeuge des größten Vermieters Vonovia sorgt für viel Diskussion in den Medien. Was kann eine primär militant vorgetragene Forderung nach bezahlbarem Wohnraum erreichen?

Das Wissen darüber, welche Rolle Vonovia in Berlin und bundesweit auf dem Wohnungsmarkt spielt, glauben wir, ist unter anderem erst mit den militanten Angriffen entstanden. Militant hieß vor allem, Reifen zerstechen, Graffiti und teilweise auch mit Feuer. Das ist mit Sicherheit ein wichtiger Beitrag: die Aufmerksamkeit auf jene zu lenken, die in großem Stil Profite machen und durch den beträchtlichen Anteil an Wohnraum großen politischen Einfluss haben müssen.

Es ist natürlich immer eine Frage der Stimmung und auch Politik, welche militanten Kampagnen in der Medienlandschaft skandalisiert werden und welche nicht. Vonovia wurde bundesweit und in regelmäßigen Abständen zum Angriffsziel militanter Akteur*innen. Da konnte die Presse in Zeiten der Wohnraumfrage nicht weg schauen. Dass das Thema dann aufgegriffen wird und Vonovia als Angriffsziel auch in bürgerlichen Kreisen auserkoren wurde, ist ein Erfolg.

Wir glauben, dass jene militanten Angriffe dann fruchten, wenn das Klima in der Stadt verspricht, die Angriffe in stadtpolitische Kämpfe zu integrieren. Da in den letzten zwei Jahren in Berlin die Wohnraumfrage permanent in den Medien aufgegriffen wird, denken wir, dass militante Angriffe in diesem Kontext zwei Dinge erreichen: Sie zeigen, dass der Dialog mit der Politik oder die Forderung an einen Konzern nettere Mietenpolitik zu betreiben, nicht funktioniert, ohne ein entsprechendes Drohszenario dahinter aufzubauen. Es geht dabei nicht zwingend um den Sachschaden, aber um den Imageschaden und die Verknüpfung des einen Konzerns mit jenen Angriffen. Zum anderen erreichen fokussierte militante Angriffe durch ihren Bezug zu statt findenden Kämpfen und Bedürfnissen eine Legitimation und Akzeptanz, die zu anderen Zeiten oder Themen in der BRD leider oft fehlt.

Wir können aber nicht an Stelle der verschiedenen militanten Zusammenhänge sprechen, die sich an den Angriffen gegen Vonovia beteiligt haben. Wenn wir ihre Texte lesen, dann geht es z.B. darum, „das Eigentum von Vonovia massenhaft zu zerstören, um unseren Widerstand weiterzuentwickeln.“ In einem gänzlich anderen Text haben wir zu unserem Erstaunen tatsächlich die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum gefunden. Die Erklärung zum Brandanschlag auf zwei Autos endet mit der Parole „Keine Rendite mit der Betriebskostenabrechnung!“. Erstaunt sind wir deshalb, weil unser erster Reflex beim Lesen der Frage eigentlich war, zu behaupten, es gäbe keine militant vorgetragene Forderung nach bezahlbarem Wohnraum.

Für uns ist gerade nicht erkennbar, ob die Frequenz der Angriffe auf Vonovia gehalten werden kann. Möglicherweise war dies nur ein kurzes Phänomen, wie die meisten autonomen Kampagnen. Viel interessanter als die Auswahl der Zielobjekte ist daher eigentlich die Kontinuität und Verbreitung des anarchistischen Kampfes. Vielleicht waren die Angriffe auf Vonovia auch nur Element einer andauernden Suche nach dem einen besonderen Objekt des gesellschaftlichen Zornes, dessen Zerstörung endlich eine schlagartige Vermassung der Form des Kampfes herbeiführt, welche wiederum zu einer Ausbreitung des politischen Bewusstseins in der Gesellschaft gelangt. Ein anschauliches Beispiel dafür ist auch die Kampagne gegen Uber, die nur deswegen so interessant ist, weil wir an eine kollektive Abneigung gegen die smarten Leihräder und -roller glauben.

Wir sind selbst nicht der Meinung, dass es aus militanter Perspektive dauerhaft Sinn macht, reformistische Forderungen zu lancieren. Aus taktischen Gründen kann man dies hier und da tun, doch wie in der Frage zum Bündnis gegen Zwangsräumungen weiter unten angedeutet, stehen wir für mehr klare Positionierung, da diese gerade im deutschsprachigen Raum fast nicht zu finden ist.

4. Wie wertet ihr die starke Teilnahme bei der Berliner Demo gegen den Mietenwahnsinn? Seht ihr nach den letzten fünf Jahren eine echte Verbreiterung der Basis für Wohnraumkämpfe?

Vor allem in den letzten zehn Jahren würden wir von einer enormen Veränderung der Wohnraumsituation in Berlin sprechen. Die Stadt ist attraktiv für Immobilienspekulation, die Mieten explodieren, Leerstand oder Brachflächen sind kaum noch zu finden. Das Image der kreativen Stadt zieht Tech-Unternehmen und Start-Ups an wie der Honigstock die Biene. Dadurch, dass immer mehr Menschen, bis in eine zahlungskräftige Schicht hinein, von den Auswirkungen kapitalistischer Stadtpolitik betroffen sind, steigt auch die Teilnahme an den jährlich stattfindenden großen Protestaktionen von bürgerlicher Seite. Waren es 2017 noch um die 1.500 Menschen, die unter dem Motto „Wem gehört die Stadt? – Gegen hohe Mieten und Zwangsräumungen“ zusammen kamen, so beteiligten sich 2018 ca. 25.000 und 2019 um die 40.000 Leute an den Mietenwahnsinn-Demos.

Man könnte also meinen, dass sich die Basis für Wohnraumkämpfe verbreitert hat. Die zahlenmäßig große Beteiligung an den Demos kann aber nicht mit der Qualität der Bewegung gleichgesetzt werden. Sie hat die Tendenz zur Spaltung, Vereinnahmung und Befriedung. Das Vertrauen in die Demokratie und ihre Vertreter*innen ist teilweise so stark, dass Forderungen an die Politik gestellt werden und lokale Politiker*innen durch eine vermeintliche Nähe zur Basis, der Teilnahme an Demos oder zahlreichen Versprechen, in der Bewegung Fuß fassen können. So kommt es nicht dazu über die Thematisierung des Grundbedürfnisses an Wohnen hinaus die Eigentumsfrage zu stellen. Unter dem Baustadtrat Florian Schmidt kauft der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zahlreiche Häuser, in denen sich Mieter*innen anfangen gegen den Anstieg der Mieten zu organisieren. Auch der Berliner Senat beteiligte sich zum Beispiel mit dem Kauf von 670 Wohnungen in der Karl-Marx-Allee durch die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag. Dort wollte die Deutsche Wohnen kaufen, die auch bereits mit militanten Mitteln angegriffen wurde. Das staatliche Ziel, einen breiteren Widerstand zu vereinnahmen, ist dort aufgegangen. Die Befriedung funktioniert, denn bevor sich die Mieter*innen mit anderen Initiativen vernetzen und selbst organisieren, steht der Heilsbringer der Politik schon mit auf ihrer Kundgebung. So ist der Begriff „Immobilienhai“ weit verbreitet, gleichzeitig zeichnen Kampagnen wie „Deutsche Wohnen Enteignen“ oder jene zum Berliner Mietenvolksentscheid 2016 ein Bild der Notwendigkeit staatlichen Eingreifens gegen eine ungezügelte Immobilienbranche. Der Berliner Mietendeckel ist eine weitere Reaktion der rot-rot-grünen Regierung auf die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung.

Gefährlich sind zudem manche Initiativen, wie Bizim Kiez, die lieber mit der Politik zusammen arbeiten und das auch noch als Organisierung von unten verstehen. Durch die Distanzierung von der Anwendung von Gegengewalt, unterstützen sie die Spaltung eines vielfältigen Zusammenschlusses in einen „guten“ und „bösen“ Widerstand. Dieser Spaltung muss entgegen gewirkt werden, wenn wir an einer echten Basis für Wohnraumkämpfe arbeiten wollen.

Andere Initiativen wie Zwangsräumung verhindern arbeiten daran, von der Vereinzelung zur Organisierung überzugehen. Menschen zu aktivieren, sich an den kontinuierlichen Kämpfen zu beteiligen, funktioniert jedoch nicht im großen Stil. Vielleicht ist das Ohnmachtsgefühl zu groß und der Mut, sich einer hochgerüsteten Polizei und einem perfektionierten Bürokratieapparat entgegen zu stellen, fehlt. Das Gefühl zu stärken, dass es sich lohnt, gemeinsam gegen das System zu kämpfen, dass sich daraus starke soziale Beziehungen und Netzwerke der Solidarität entwickeln können, ist unabdingbar.

5. Sind die kontinuierlichen und militanten Alltagsauseinandersetzungen um Wohnraum eine Berliner Eigenart, oder sind die Kämpfe in Leipzig, München, Hamburg, Bremen und Köln ähnlich verfasst?

Berlin ist aufgrund der Hausbesetzungsgeschichte der 1980er und 1990er Jahre speziell. Viele der damals besetzten Häuser und Projekte beteiligen sich zwar nicht mehr wahrnehmbar am lokalen Widerstand gegen die kapitalistische Stadt, einige wie unser Haus oder unsere Nachbarin, die Liebig34, sind jedoch Teil antagonistischer Kämpfe und versuchen dies in den Kiez auszustrahlen. Auseinandersetzungen um rebellische Kieze und die Bildung von Gefahrengebieten für Bullen, Nazis, Investor*innen und andere Feinde der Freiheit sehen wir jedoch auch in Leipzig-Connewitz. Auch dort siedelten sich viele Linke, Student*innen, Antiautoritäre an, unter anderem, da der Wohnraum momentan noch vergleichsweise günstig ist. Im Gegensatz zu einer Stadt wie München oder auch Hamburg, in denen die Wohnraumpreise schon seit langem stabil hoch sind, befinden sich Städte wie Berlin oder Leipzig noch in einer steigerbaren Phase der kapitalistischen Verwertung des Raumes. Dadurch könnte man sagen, dass die Auseinandersetzung alltäglicher ist.

Wir sehen Städte jedoch generell als menschenfeindliche Orte an, sofern wir davon ausgehen, dass ein menschliches Zusammenleben mit solidarisch, kollektiv und selbstorganisiert gleichgesetzt werden kann. Deswegen ist es kein Berliner Phänomen, dass sich kontinuierlich und militant mit der Frage um Wohnraum oder der Entstehung oder Erhaltung emanzipatorischer Inseln auseinandergesetzt wird. Aus allen Städten, die ihr genannt habt (und darüber hinaus auch aus kleineren Städten), lesen wir nämlich immer wieder von militanten Angriffen auf Immobilienfirmen oder kontinuierlicher antiautoritärer Propaganda durch Graffiti, von Besetzungen und kleinen, feinen Demos, die die Regeln der Beherrschbarkeit durchbrechen. Der Austausch von Erfahrungen und Analysen über die jeweiligen Stadtgrenzen hinaus, ist dabei sicher noch ausbaubar.

6. In vielen Städten gibt es szenetypische Besetzungen um autonome Freiräume durchzusetzen. Wie eng sind diese Besetzungen eurer Meinung nach eingebettet in die Kämpfe um Wohnraum für alle?

Wir denken, da sieht es von Ort zu Ort unterschiedlich aus. Wenn zum Beispiel in vom Braunkohleabbau bedrohten Dörfern und Kleinstädten Häuser besetzt werden, auch explizit mit dem Ziel, sich damit dort eine Basis zu schaffen, stellt sich bei den meisten Nachbar*innen gar nicht erst die Frage, ob das auch Teil ihres Kampfes ist. So sieht es wohl auch in anderen Nachbarschaften, in denen es eine breite direkte Betroffenheit gibt, aus. Schon einige Male haben sich auch

Zusammenschlüsse von Menschen, aus von Entmietung, Sanierung und Mietsteigerung bedrohten Wohnhäusern, explizit in der Hoffnung, leerstehende Wohnungen in ihrem Haus könnten besetzt werden, an uns oder andere als szenezugehörig wahrgenommene Zusammenhänge gerichtet. Das sehen wir als klares Zeichen dafür, dass Besetzungen zumindest von ihnen

als Teil eines Kampfes für Wohnraum wahrgenommen werden. Sicher richten sich einige Besetzungen auch primär gar nicht an

Nachbar*innen und eine breitere von Gentrifizierung und städtischer Wohnungspolitik betroffene Masse, sondern suchen zunächst eigene Räume und Handlungsoptionen zu schaffen. In wie fern dies von Anderen als Teil eines breiteren Kampfes für Wohnraum empfunden bzw. in diesen Kontext gestellt wird, bleibt dann ihnen überlassen. Generell würden wir sagen, dass zumindest in letzter Zeit auch dann der Bogen dahin oft geschlagen wird.

Auf Berlin bezogen sind wir uns nicht ganz einig. Einerseits wurde durch das gehäufte Auftreten neuer Besetzungsversuche und dem Ansatz, offen aufzutreten zu Zeiten eines generell gesteigerten medialen Interesses an der Wohnungsproblematik, eine breite Öffentlichkeit weit über Szeneränder hinaus erreicht und Besetzungen in aller Munde gebracht. Andererseits sind einige der Meinung, dass Hausbesetzungen speziell in Berlin schon lange mit der Thematik des Mietenkampfes verbunden sind und zumindest in Alltagsgesprächen und Diskussionen stets als Lösungsansatz wahrgenommen wurden. Der Schritt zur Praxis ist aber meist ein großer und da sehen einige von uns in der Vermassung und dem partizipativen

Ansatz eine große Chance, solange es Erfolgsbeispiele gibt. Mit szenetypischen Besetzungen sind wahrscheinlich #besetzen und ähnliche Arten der Besetzungen, die es schon so lange wir denken können immer wieder gibt, gemeint. Dabei werden Räumlichkeiten besetzt, im Wissen, dass man sie in der momentanen Situation nicht gegen den Staat verteidigen kann. Sie zielen stattdessen darauf ab, eine breitere Bewegung zu schaffen, die eines Tages genug Kraft hat, die Handlungsoptionen des Staates so weit zu reduzieren, dass er tatsächlich Raum verliert, wenn wir ihn uns nehmen. Die Besetzungen sind also in erster Linie ein Mittel der Propaganda so wie praktisch alle Demonstrationen, Anschläge, Texte und Plakate. Szenig wirken sie für uns nur dann, wenn die staatliche Propaganda es schafft, uns davon zu überzeugen, dass sie ausschließlich einen identitätsstiftenden Charakter haben. Das ist um so leichter, je weniger Erfahrung und politisches Bewusstsein die involvierten Militanten haben, da die Vermittlung des politischen Sinnes hinter dieser Aktionsform nicht so einfach ist. Schließlich zieht sie immer eine Menge an Verfahren nach sich und greifbare, räumliche Erfolge sind bisher ausgeblieben. Die Militanz der Aktionsform sehen wir so lange, als dass sie nicht ihren Endpunkt in Verhandlungen mit dem Staat sieht und sich somit zum Spielball der Politik macht.

Wir wissen aber natürlich auch, dass die Szeneidentität eine große Rolle bei der Politisierung von Menschen spielt. Das große Interesse und die Partizipation, die sicher auch dem offenen Charakter zu verdanken sind, sehen wir als Teilerfolg.

Wir hoffen dass der Elan zu Neubesetzungen nicht verloren geht und die Szene als Anknüpfungspunkt genutzt wird, um sich über Erfahrungen und Konzepte auszutauschen und Perspektiven und Einschätzungen zu diskutieren. Die Einbettung von eher symbolischen Besetzungen in weiter gefasste Kämpfe ist so für uns leicht erkennbar, schließlich ist die Szene eine

politische Subkultur, zu deren großen Themen eben auch die Frage nach Wohnraum zählt.

7. Was ist euer Verhältnis zu Akteuren wie dem Bündnis gegen Zwangsräumungen?

Die vom Zwangsräumungsbündnis hatten im Jahr 2013 ihre Finger im Spiel, als wir kurze Zeit das Gefühl hatten, eine Bewegung zu werden. Der Zwangsräumung von Ali Gülbol in der Lausitzer Straße war ein Moment des koordinierten Gegenangriffs gegen die aggressive Politik der Gentrifizierung in Berlin. Die brennenden Straßensperren und die handgreiflichen Auseinandersetzungen mit den Bullen sind vielen von uns noch in Erinnerung. Oft wurde danach diskutiert, wie das passieren konnte und warum die folgenden Zwangsräumungen nicht noch mehr Widerstand hervorriefen. Vermutlich konnten die Akteure, auch das Zwangsräumungsbündnis, einfach nicht die eigene Stärke realisieren. Zusätzlich reagierten die Herrschenden klug, indem sie mit einigen äußerst brutalen Angriffen auf die folgenden Demos und Aktionen neu gewonnene Leute terrorisierten. Auch das wurde nicht rechtzeitig realisiert. Damit nahm aus unserer Sicht die Bedeutung des Themas Zwangsräumungen und auch des Bündnisses gegen Zwangsräumungen ab.

Unser Verhältnis zum Bündnis ist nach wie vor gut. Wir haben persönliche Kontakte, politisch jedoch wenige Schnittpunkte, was natürlich daran liegt, dass wir mit unserer Raumnahme das erklärte Ziel verfolgen, den Staat zu beseitigen, während das Zwangsräumungsbündnis ohne eigenes Territorium versucht, in bürgerlichen Sphären Empörung zu erzeugen. Wir wissen von keinen Äußerungen ihrerseits, die auf revolutionäre Ziele hindeuten. In ihrem Selbstverständnis auf ihrer Website wollen sie „eine Stadt für alle“ – ein Wunsch, den wir nicht teilen können. Wir wollen (um nur ein paar zu nennen) Nazis, Bullen, Investor*innen und Bonzen aus den Kiezen jagen. Dennoch sind wir geneigt, die radikale Intervention des Bündnisses in bürgerliche Kreise zu dessen Politisierung als sinnvollen Ansatz zu sehen, der seine Stärke eben 2013 gezeigt hat, sich langfristig aber nicht behaupten konnte.

Der folgenden Textpassage aus einem aktuellen Aufruf des Bündnisses gegen den Immobilien-Lobby-Kongress „Quo Vadis 2020“ zum Beispiel stimmen wir zu: „Wir wollen keine Gesellschaft in der die Wenigen auf Kosten der Vielen leben, […] in der Menschen Angst um ihre Wohnung haben müssen und hunderttausende wohnungslos sind. Deshalb kämpfen wir auch weiter für ganz andere gesellschaftliche Verhältnisse.“ Offen bleiben für uns, wie bei den meisten stadtpolitischen Gruppen auch, beim Bündnis gegen Zwangsräumungen die Fragen nach erstrebenswerten gesellschaftlichen Verhältnissen sowie Strategien für den Weg dorthin. Intransparenz ist unserer Meinung nach oft bewusste politische Taktik und verhindert das Vordringen zu Fragen der Organisierung und der gemeinsamen Praxis.

8. Was haltet ihr von der Kampagne „Deutsche Wohnen enteignen“? Wird hier strategisch geschickt und provokativ die Eigentumsfrage gestellt, oder meint enteignen hier den propagandistischen (teuren) Rückkauf von Wohnungen?

Wir haben über die letzten Jahre sehr deutlich gemacht, dass wir rein gar nichts davon halten, sich mit Politiker*innen an gemeinsame Tische zu setzen, noch Forderungen an die Regierung zu stellen. Diese klare Entscheidung und Warnung davor, sich auf ihre Annäherungsversuche einzulassen, sehen wir tagtäglich in den stetigen Versuchen des Senats bestätigt, unseren Kiez zu befrieden.

Das kapitalistische System beruht auf Eigentumsverhältnissen. Das heißt, dass einige wenige etwas besitzen und alle anderen für jene Dinge bezahlen müssen, welche zu Waren gemacht wurden. Zum Beispiel für Wohnraum. Der rot-rot-grüne Senat steht für die Aufrechterhaltung dieses Systems mit smarterem Image, sodass auch mal ein Mietendeckel eingeführt wird oder Wohnungen für gigantische Beträge zurück gekauft werden, die einige Jahre zuvor erst an Konzerne von jenen Parteien verschenkt wurden. Das ist es, wofür Politik für uns steht und das ist das Feld dieser Kampagne.

Wir sind für die Abschaffung aller Eigentumsverhältnisse. Als Aktive in dieser Straße stellen wir diese Forderung nicht im Rahmen staatlicher Organisierung und auch nicht in der Hoffnung auf gute Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft und Stadt-Bewohner*innen. Wir können als Feinde dieser Ordnung nicht daran glauben, durch Reformen im System das System selbst zu zerstören. Das ist aber unser Ziel. Eine Befriedung unserer Gedanken und Kämpfe ist hierbei der größte Stein, der uns immer wieder in den Weg gelegt wird. Genau dieser Versuch, breit aufgestellte Gegner*innen der Stadtpolitik an einen Tisch zu bringen und zu beruhigen, sehen wir in dieser Kampagne als große Gefahr. Geschickt und provokativ gewählt, scheint uns dabei der Begriff der „Enteignung“ allemal, indem er impliziert, dass der Erfolg darin liegen würde, Eigentumsverhältnisse zurecht zu rücken und Wohnraum „zurück“ in die Hände der Bewohner*innen zu geben. Er impliziert die Möglichkeit einer sozialen Stadtpolitik, menschen-freundlicher Konzerne und guter Politiker*innen innerhalb dieses Systems. Ein Konzern wie Deutsche Wohnen ist aber kein besonders schlechter Konzern. Er spielt nach den Regeln des Systems. Ob die Eigentumsverhältnisse bei diesem liegen oder bei einer städtischen Wohnungsgesellschaft ist nicht der Punkt, an dem wir uns abarbeiten wollen.

Wir befürworten natürlich eine breit aufgestellte Bewegung um die Wohnraumfrage. Aber wir müssen immer wieder daran arbeiten, zu verbreiten, dass die Eigentumsfrage nur von unten gestellt werden kann und niemals im Einvernehmen mit Politik oder Konzernen einhergehen wird. Daher begrüßen wir militante Angriffe zu Deutsche Wohnen oder auch Vonovia und würden sie gerne in einem Atemzug mit anderen Initiativen aufgezählt sehen. Sodass eine Mietenwahnsinn-Demo solidarisch zusammen steht und sich die Akteur*innen gegenseitig beeinflussen, statt sich die Luft raus nehmen zu lassen von Befriedungstendenzen.

2.4 Yvonne – Vertreibung am Kap

2.4 Yvonne – Vertreibung am Kap

Wir hatten uns mit Yvonne in der Vorstadt von Kapstadt Hout Bay nahe bei dem Haus verabredet, in dem sie als Dienstmädchen eine Arbeit gefunden hatte. Trotz des geringen Lohns schätzte sie sich glücklich. Sie war eine „San“, eine sogenannte „Farbige“ und stammte von den Ureinwohnern der Region ab. Schwarze und Farbige haben es auch geringem Lohn schwer, in Südafrika eine Beschäftigung zu finden. Sie leiden auch heute noch unter der fortwährenden Apartheid, an der ANC-Regierungen nichts geändert haben. Der damit verbundene Rassismus wurde uns drastisch vorgeführt, als wir uns mit Yvonne auf eine Besichtigungstour zum Hafen hinunter und an einen nahe gelegenen Berg machten, auf der sie uns die Stationen und Umstände ihrer Vertreibung zeigte. Auf dem Weg hielten immer wieder von weißen gefahrene Autos an, deren weiße Fahrer*innen uns, die beiden Freund*innen von Yvonne, fragten, ob sie uns mitnehmen könnten. Nicht etwa Yvonne. Denn die Regel lautet: die Schwarzen gehen zu Fuß, die Weißen fahren und werden von den Weißen auch nicht zum Mitfahren eingeladen. Unsere Weigerung traf auf Verwunderung und sichtbares Missfallen. Dieses Missfallen zeigten allerdings nicht die am Straßenrand stehenden schwarzen und farbigen Arbeitssuchenden Tagelöhner. Eher Freundlichkeit, vor allem, wenn sie unsere Weigerung beobachtet hatten. 

Yvonne gehörte einer kleineren Gruppe von Farbigen an, die in einem besetzten Haus wohnten und zusammen kämpften. Sie waren mit der großen Organisation „Abahlali Base Mjondolo“ verbunden, in der Bewohner von Townships ihre Kämpfe in der Region Western Cape organisieren (dazu in einem gesonderten Beitrag). 

Yvonne zeigte uns auf dem gemeinsamen Spaziergang die Stationen ihrer Vertreibung. Zu Beginn zeigte sie uns das Grundstück, auf dem das Häuschen gestanden hatte, in dem sie mit ihrer Familie gewohnt hatte. Das war zu Ende, als sie einen Brief der Stadtverwaltung erhielten, wonach das Häuschen auf unsicherem Sandgrund, der ein weiteres Wohnen dort unmöglich machen würde. Von irgendwelchen Risiken hatte sie bisher nichts wahrgenommen, aber sie mussten alle ausziehen und alle Häuser wurden geräumt, „zum Schutz“ der Anwohner*innen. Umso überraschter waren sie als nach der Beseitigung des Häuschens dort ein staatliches Haus für wohlhabende Leute gebaut wurde. Hout Bay entwickelte sich zur Wohngegend für die besseren Kreise. Es gelang ihnen, ein Grundstück zu fingen, auf dem sie erneut ein Häuschen bauten. Aber die besseren Kreise schienen unersättlich. Nach einiger Zeit erhielten sie mit derselben Begründung eine Aufforderung, das neue Häuschen zu verlassen. Wieder mit dem Ergebnis, dass sie dort alsbald ein neues, schöneres Haus in Augenschein nehmen konnten.

Nach dieser erneuten Vertreibung konnte die Familie nichts Neues finden und Yvonne selbst musste sich ebenfalls eine neue Bleibe suchen. Mit Freunden besetzte sie eine Behausung auf halber Höhe eines angrenzenden Berges. Von dort aus machte sie mit Freund*innen Politik im Zusammenhang mit den Aktivitäten von Abahlali Base Mjondolo.

2.3 Mikroappartements

2.3 Mikroappartements

Oder besser „Wohnwaben“, der Weg zu mehr Reibach und ein Mittel der Vertreibung. Wir können mittlerweile von einem Trend sprechen, der sich in der Wohnungslandschaft auftut. Die Rede ist von sogenannten Mikroapartments. Mikroapartments oder auch Mikroflats genannt sind wie der Name schon sagt: mikroskopisch kleine Wohnungen. Bei Wikipedia werden sie als eine in sich geschlossene, sehr kleine Einzelwohnung bezeichnet. Die Größe schwankt zwischen 14 und 32 qm und ist mit einem Wohn- und Schlafzimmer, einem Bad und einer Küchenzeile ausgestattet.

In den USA und England blicken die Investoren schon auf eine lange Erfolgsgeschichte. Es begann dort bei 37 qm Mindestfläche, in New York City ist sie aber bereits auf 26 qm geschrumpft. Hier bei uns muss mensch zum Teil schon mit 18 qm auskommen und 

der Tendenz nach geht es eindeutig noch kleiner in Richtung 14 qm. Aber wenn der Mensch denkt, dass er dadurch auch Geld spart bei der Miete, irrt er sich gewaltig. Er wird zur Ader gelassen und ausgequetscht. Selbst in angesagten Städten wie z. B. München, wo der normale Quadratmeterpreis mittlerweile bei 15 € angekommen ist, würde man dann ja wohl nur um die 300 € pro Wohnung zahlen. So ist es aber nicht. Die qm-Preise liegen je nach Lage und Ausstattung und Stadt zwischen 25 und 30 €/qm. Und nach oben gibt es so gut wie keine Grenze mehr, denn da die Mikroapartments möbliert vermietet werden, greifen weder Mietpreisspiegel noch Mietpreisbremse. Doch auf die Preise kommen wir später noch einmal zurück.

Es wird gesagt, dass Mikroapartments in den dicht besiedelten urbanen Zentren Europas, Japans, Hongkongs und Nordamerikas immer beliebter werden sind. Beliebter allerdings vor allem bei den Bauherren, Investoren und Vermietern. Denn sie maximieren ihren Gewinn gewaltig. Sie sollen relativ „preisgünstige“ Unterkünfte sein, heißt es in der einschlägigen Literatur. Bei preisgünstig scheiden sich dann allerdings die Geister, von preisgünstig kann nirgends die Rede sein. Mikroapartments werden im Internet als Anlage-Idee angeboten mit dem Slogan: „Größe minimieren, Nutzen maximieren.“ Daraus soll sich dann ein Einnahmeturbo für den Investor bilden. Damit werden mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Pendler, Studierende, Singles und Berufseinsteiger nennen die Entwickler als die Kerngruppe ihrer Mieter, sowie alle diejenigen, die generell temporären Wohnraum benötigen. Aber sie zielen vorrangig auf die Touristen, denn wo finden sich die Studenten, die 600 € und mehr im Monat für eine Mikrobude bezahlen können. 

Aber wir müssen Mikroapartments und Studentenwohnheime sowieso zusammensehen. Mikroapartments sollen die Lösung für den Mangel an Wohnraum sein. Sie werden mittlerweile als „die“ Lösung für den Wohnraummangel in sogenannten „Schwarmstädten“ gesehen. Zumindest von den Investoren. Auch in deutschen Städten herrscht akuter Mangel an Wohnungen, aber vor allem an bezahlbarem Wohnraum und da ist bei Mikroapartments der Begriff „Lösung“ der nackte Hohn. Karsten Nölling (jemand, der vor allem für elektronische Schließsysteme (KIWI) tätig ist und schreibt, bietet da eine „passende“ Lösung in einem Artikel an: „Wenn der Quadratmeterpreis klettert, die Gesamtmiete allerdings überschaubar bleiben soll (oder muss), gibt es die Möglichkeit die Wohnfläche zu verkleinern“ und das was ursprünglich für studentisches Wohnen vorgesehen war und für die Zeit des Studiums auch angemessen ist, jetzt auf ganz normale Wohnungssuchende zu übertragen. Dabei geht es aber überhaupt nicht darum, dass Menschen eine Wohnung finden, in der es sich wirklich leben lässt. Hauptsache ist, dass die Wohnungswirtschaft mit der Rendite „leben“ kann. Die Wohnfläche wird soweit reduziert, wie es gerade noch möglich ist es auszuhalten, ohne Platzangst zu bekommen. Mikroapartments sollen sich für bezahlbaren Wohnraum in städtischen Top-Lagen anbieten und werden nach dem Prinzip „Weniger ist mehr“ konzipiert. Damit wollen sie sogar eine Antwort auf neue Lebensweisen geben. In einer Immobilienzeitung vom Juni 2019 wird beschrieben, dass der Mensch heutzutage ja auch gar keinen Platz mehr braucht, denn die außerberuflichen Interessen wie Musikhören, Fernsehen, Lesen spielen sich weitgehend am Rechner ab, der ja nicht viel Platz braucht. Der E-Book-Reader ersetzt das Bücherregal, Youtube den Plattenschrank. Da kriegt mensch dann gleich noch „gute“ Ratschläge wie man zu leben hat.

Das Wichtigste, was aus allen Artikeln spricht: Mikroapartments richten sich an bestimmte Zielgruppen und versprechen bei überschaubarem Einsatz eine hohe Rendite. „Aufgrund der besonderen Eigenschaften von Mikroapartments sind große Teile der potentiellen Bewohner bereit, eine vergleichsweise hohe Monatsmiete zu akzeptieren. Auf die Zielgruppe ausgerichtete Wohnkonzepte sind notwendig, um als Wohnungsunternehmen langfristig mit Micro-Apartments Erfolg zu haben.“ Auch hier wieder an erster Stelle: Interessant für Anleger. Eine Umfrage der Uni Trier 2018 ergab: „Außerdem werden die Reurbanisierung, der Wohnraummangel, die soziodemographische Lage und die Pluralisierung der Lebensstile als aktuelle Erfolgsfaktoren gesehen. Besondere Attraktivität gewinnen Mikrowohnungen aus der Tatsache, dass diese im Vergleich mit einer klassischen Wohnung mehr Rendite erwirtschaften.“ (denn keine Mietenbremse usw.) 

2014 war im BundesBauBlatt online zu lesen: Mikrowohnungen bilden daher gegenwärtig ein interessantes Produkt mit sehr guten Vermietungspotentialen, wenn die Lage stimmt. Langfristig betrachtet birgt dieses Segment aber Risiken, weil die Wohnungen bei einer Entspannung der Wohnungsmärkte aufgrund der geringen Nutzungsflexibilität und der Monostrukturen deutlich schlechtere Vermietungschancen bieten werden.“ Es ist ja eine ganz besondere Aussage, dass die Investoren, wenn keine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt zu erwarten ist, die besten Renditen erzielen werden können. Doch von Entspannung kann keine Rede sein und wird es auch nicht in den nächsten Jahrzehnten. Also wird die Immobilienwirtschaft mit ihren Investoren auch in Zukunft keine Angst vor rückläufigen Renditen haben müssen. Angst müssen die ärmeren Bewohner haben. Angst vor Vertreibung. Denn die Investitionen, die in die in die Mikrowohnungen gehen, gehen möglichen Bauvorhaben im preisgünstigeren Sektor verloren. 

Es kann ja sein, dass der Mensch heutzutage mit weniger auskommen müsste. Jede*r schafft sich im Leben viel Scheiß an und es fällt manchmal auch schwer sich von Sachen zu trennen, sie zu entsorgen oder weiter zu geben. Wenn das für einige Menschen so ist, dass sie mit Weniger auskommen wollen, dann ist das in Ordnung. Aber bei diesen Mikroapartments geht es einzig und allein um die Gewinnmaximierung. Das wird schon klar, wenn wir auf die Investoren gucken: GBI AG, GBI Wohnungsbau, My Apart, ipartment, Campus Viva, Cube Real Estate, Corestate Capital Holding S.A., Corpus Sireo Real Estate. Unter anderem börsennotierte Immobilien- und Investmentmanager mit Sitzen in Luxemburg.

Es ist unglaublich, dass heute zwischen 25 und 30 €/ qm verlangt werden können und die Investoren das Geld auch bekommen. Auch wenn die „Wohnungen“ möbliert sind und über einige Gemeinschaftsräume verfügen oder Waschmaschinen bereitstellen. Auch 10 € / qm ist heutzutage nicht wenig. Das würde aber für eine 20qm großes Zimmer (Wohnung) 200€ bedeuten. Vielleicht ein Aufschlag für die Möbel und die Gemeinschaftsräume. Vielleicht würden wir dann bei ca. 300€ landen. Aber diese Zahlen sprechen eine andere Sprache und nach oben sind überhaupt keine Grenzen gesetzt. So gibt es in Köln eine Anlage mit Mikroapartments, die in mehrere Kategorien eingeteilt sind, die sich im Monat z.B. als XS= ab 1.190,- €; S = 1.390,-€; M= 1.590,-€ und L= 1.890,-€ / Monat. Aber auch Vertreter der Städte sehen Mikroapartments zunehmend kritisch. Anlass sind vor allem die Preise und die These, kleinteiliges Wohnen würde nicht zur Belebung von Städten beitragen, sondern teils gar zur Ghettoisierung einzelner Lagen führen. Studenten und Pendler, so heißt es, seien weniger an Bindungen in ihrer Nachbarschaft interessiert. Das könne der Entwicklung von „Schlafstädten“ Vorschub leisten. Aber es muss auch festgehalten werden, dass insgesamt viel zu wenig preisgünstige Wohnungen für Familien gebaut werden. Am Beispiel zeigt sich, dass das Wohnungsangebot der Nachfrage auf lange Zeit hinterherhinkt. Nach Angaben der Stadt Köln sind 2018 knapp 4.000 neue Wohnungen gebaut worden, gut 2.000 weniger als das durch den Stadtrat selbstgesetzte mittelfristige Jahresziel vorgab. Wie dem auch sei, es muss etwas gegen diese Entwicklung getan werden. Wir können es nicht weiter hinnehmen, dass Wohnraum nur noch zur Geschäftemacherei benutzt wird. Wohnraum ist und bleibt keine Ware. 

2.2 Airbnb

2.2 Airbnb

Mittlerweile vergeht kaum ein Tag, ohne dass wir Nachrichten über Airbnb in den Zeitungen lesen. In allen großen, angesagten Städten in Europa und auf allen Kontinenten der Welt. Die Betreiber von Airbnb feierten 2018 zum 10jährigen Jubiläum: „Die schlechteste Idee, die jemals funktioniert hat“. Aber seit einiger Zeit sieht es nicht mehr ganz so rosig aus für die Sharing-Plattform: Tourismus-Metropolen gehen gegen Airbnb und Co. vor: Rund um die Welt laufen Bürger und Politiker Sturm gegen die Kurzzeitvermieter.

Dabei hatte alles so harmlos angefangen im Jahr 2008: Da konnten nämlich drei Studenten, Brian Chesky, Joe Gebbia und Nathan Blecharczyk in San Francisco die Miete für ihr Apartment nicht bezahlen und haben dann dafür kurzer Hand in ihr Wohnzimmer drei Luftmatratzen gelegt und an die Besucher einer Design-Konferenz als Schlafplätze vermietet. Frühstück inklusive. Daraus ist dann im Laufe von über 10 Jahren eine riesige weltweit agierende Internetplattform geworden. Die Firmengründer sind damit längst zu Milliardären geworden und müssen sich nicht darum kümmern, welche Auswirkungen und Folgen ihre harmlose Idee von damals in den Städten der Welt hat.

Neben der sowieso bereits vorherrschenden Wohnungsnot in den Städten kommt die Umwandlung von Wohnungen in Ferienwohnungen noch obendrauf. Dabei ist Airbnb nur die bekannteste Internetplattform. Andere wie z.B. wimdu.com, FeWo-direkt oder booking.com sind genauso verantwortlich für das Desaster, dass der ohnehin knappe Wohnraum überall noch knapper wird. Airbnb betrieb sein Geschäft mit einem so großen Erfolg, dass das Unternehmen eigentlich Mitte 2019 an die Börse gehen wollte, nun sollten die Pläne jedoch erst 2020 realisiert werden. Die Wallstreet fieberte schon lange auf Börsenpapiere des in San Francisco ansässigen Unternehmens. Der Online-Marktplatz zur Vermittlung von privaten Unterkünften soll 2017 2,6 Milliarden Dollar Umsatz gemacht und einen Gewinn von 100 Millionen Dollar eingefahren haben. Airbnb hatte sich mittlerweile an allen börsennotierten Hotelketten vorbei an die Spitze gesetzt und hatte nur noch Marriot mit 45 Mrd. Dollar vor sich. Aber jetzt gehört das erst einmal der Vergangenheit an und die Wall-Street muss jetzt länger auf den Reibach aus den Vertreibungen warten. Laut Wall-Street-Journal kämpft Airbnb derzeit auch mit den Auswirkungen des Coronavirus im Wachstumsmarkt China.

Aber das sind Probleme, die uns vor Ort nur wenig interessieren müssen. Wir müssen uns mit den anderen Problemen auseinandersetzen: was machen Airbnb und die anderen Vermietungsportale hier vor unseren Haustüren? Wie wirken sie sich auf die Innenstädte der angesagten Städte aus, was wird passieren, wenn in den Innenstädten niemand mehr dauerhaft wohnt und wer ist schuld an dem Desaster. Die Vermietungsportale, die Vermieter, die den Hals nicht vollkriegen oder die Verwaltungen der Städte, die nicht genügend Kontrollkapazitäten haben, um gegen illegale Ferienwohnungen vorzugehen?

In Köln z.B. werden mittlerweile bis zu 7000 illegale Ferienwohnungen im Netz angeboten. Aber auch in anderen europäischen Städten sieht es nicht anders aus. In manchen angesagten Städten wie z.B. Barcelona, Venedig oder Amsterdam wohnen in den Innenstädten schon jetzt kaum noch Einwohner. Nachdem die Hauseigentümer das große Geschäft mit der Vermietung an Touristen, die mit ihren Rollkoffern die Städte überschwemmen, erkannt haben, können sich die normalverdienenden Menschen die gestiegenen Mieten in den Innenstädten nicht mehr leisten. Sie werden an die Ränder der Städte verdrängt. Aber in den Innenstädten will dann auch niemand mehr wohnen. Da wo man die Nachbarn nicht mehr kennt und wo es gar keine Nachbarn mehr gibt, wo jedes Wochenende andere Personen in den umliegenden Wohnungen absteigen. Die Innenstädte veröden und werden zu reinen Museen oder Kulissen für das Touristenunwesen. Eine Enteignung der Heimat, wie man sie sich schlimmer nicht denken kann. Schuld daran ist natürlich auch der immer weiter um sich greifende Städtetourismus für Kurztrips und die billigen Flugpreise. Für 9,99 € mal schnell übers Wochenende nach Barcelona. Da leidet dann auch noch das Klima drunter. Es geht hier auch nicht in erster Linie darum, ein Zimmer in der eigenen Wohnung anzubieten, wenn man selber verreist ist oder die Wohnung für kurze Zeit an andere überlässt, wenn der Vermieter damit einverstanden ist, sondern um die zum Teil schon flächendeckende Umwandlung ganzer Stadtviertel in Touristenunterkünfte.

Aber nun ist das Problem auch von den Kommunen erkannt worden und sie werden seit einiger Zeit aktiv. Bundesweit und auch europaweit haben sich Großstädte vorgenommen gegen Vermittlungsagenturen wie AirBnB vorzugehen. Mit ganz unterschiedlichen Mitteln. Metropolen wie Berlin und Hamburg z. B. bestimmen, dass sämtliche Unterkünfte registriert sein müssen und Vermietungen ganzer Wohnungen ab dem ersten Tag genehmigungspflichtig sind. Mit solchen Maßnahmen schaffte es der Berliner Senat nach eigenen Angaben, seit 2014 rund 9500 Home-Sharing-Unterkünfte dem allgemeinen Wohnungsmarkt wieder zuzuführen, etwa 4500 davon seien Ferienwohnungen gewesen. (Handelsblatt vom 06.08.2019) Bei Verstößen drohen Berlin und Hamburg mit Bußgeldern bis zu einer halben Million Euro. Bis Ende März 2019 flossen auf diese Weise gut 4,5 Mrd. Euro in die Kasse der Hauptstadt. Aber die Zahl der Wohnungen ist nach eigenen Angaben von Airbnb noch weitaus größer: in Berlin z.B. derzeit 13.045 komplette Wohnungen, in Hamburg 5883, in München sind es 6016 und in Dortmund vernachlässigenswerte 185 Wohnungen. Köln verfügt seit dem 01.07.2014 eine neue Wohnraumschutzsatzung, die zunächst bis zum 30.06.2019 galt und dann um weitere fünf Jahre verlängert wurde. Vor Inkrafttreten der Satzung gab es sogar Anwaltsbüros, die auf ihrer Internetseite zu diesem Thema darauf hinwiesen, dass: „Wer beabsichtigt Wohnraum in absehbarer Zeit anderweitig (als zu Wohnzwecken, also Zweck zu entfremden) zu nutzen, sollte dieses Vorhaben noch vor dem 01.07.2014 umsetzen.“ Damit wurde dem illegalen Treiben erheblicher Vorschub geleistet. In Köln werden die illegalen Objekte in der Stadt auf ca. 5000 bis 7000 geschätzt. Genau sagen kann man das nicht, da es keine Meldepflicht gibt. Der Graumarkt boomt auf jeden Fall. Der Marktanteil von Airbnb in Köln liegt bei rund 16 %. (Nach Recherchen der Südd. Zeitung).

Im Moment ist es gerade etwas ruhiger geworden um Airbnb. Vor kurzem sah das noch anders aus. Aber nichts desto trotzt hat die Bedrohung von Airbnb für die Städte und deren Einwohner nicht nachgelassen und das wird auch so bleiben, wenn der Widerstand nicht beibehalten wird und sich noch vergrößert.

Wie funktioniert AirBnB?

AirBnB gehört wie viele anderen Online-Plattformen zur Sharing-Economy. Der Autor Hanns Ühss gibt in seinem Buch von 2017 „Die Airbnb-Formel“, „In 5 Schritten vom Anfänger zum Super-Host“, Anleitungen darüber, worauf geachtet werden muss, wie man die eigene Wohnung oder extra dafür angemietete Wohnungen bestmöglich an die Frau oder den Mann bringen kann. Dabei beruft er sich auf eine wichtige Erkenntnis, denn ebenso wie Uber, das größte Taxiunternehmen der Welt, das keine eigenen Fahrzeuge besitzt, oder Facebook, das bekannteste Medienunternehmen der Welt, das keine eignen Inhalte produziert oder Delivery Hero, das größte Restaurant der Welt, das keine eigene Küche hat, so hat auch Airbnb, der weltgrößte Anbieter von Urlaubsunterkünften keine einzige Immobilie. Diese Erkenntnis wiederum stammt von Tom Goodwin, einem in den USA lebenden Kolumnisten, der die rasante Entwicklung dieser Online-Plattformen sehr treffend zusammengefasst hat. Dann folgen gleich im Vorwort mehrere nicht ganz falsche Einschätzungen: z.B. dass die Online-Plattformen sich inzwischen fest in unserem Alltag etabliert haben und die Art und Weise wie wir reisen, denken und fühlen. Und dabei spielt die Ökonomie des Teilens eine immer größer werdende Rolle, die das Leben scheinbar immer einfacher und günstiger macht. Aber dabei hat Ühss die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Zumindest bei Airbnb und damit für den Wohnungsmarkt trifft das alles nicht zu. Hier ist es nämlich so, dass die Online-Portale für Ferienwohnungen dafür gesorgt haben, dass ungeheure Begehrlichkeiten bei Mietern und Immobilienbesitzern in den angesagten Städten der Welt geweckt wurden. Und die ursprüngliche Idee ein ungenutztes Zimmer in der eigenen Wohnung an Touristen zu vermieten, schon längst nicht mehr ausreicht. Heute geht es überwiegend um komplette Wohnungen oder sogar um ganze Mehrfamilienhäuser. Es sind nicht mehr nur Pendler, Berufstätige oder Studenten, deren Wohnung mal leer steht, wenn sie verreist sind. Oder Rentner oder WGs, die ein Zimmer erübrigen können. Zunehmend wird durchgängig vermietet und Immobilieninvestoren, die nach alternativen Vermietungsformen suchen, können dabei eine attraktive Mietenrendite erzielen. Dabei hilft dann die spezielle Literatur wie „Die Airbnb-Formel“. Dort kann man erfahren wie man am besten zum Superhost wird und die bestmögliche Rendite erzielen kann. Schritt für Schritt werden die Leser*innen auf alle Eventualitäten vorbereitet und können sich ohne eine Pleite zu erfahren auf die Einrichtung ihrer neue Geldquelle vorbereiten. Im Nachwort geht der Verfasser auf das mittlerweile schlechte Image von Airbnb ein: „Auch wenn die aktuelle Berichterstattung in den Medien den Eindruck erweckt Airbnb sei die Quelle allen Übels und die Airbnb-Gastgeber seien hauptverantwortlich für die steigenden Mietpreise und Verdrängungen von Einheimischen, so bin ich fest davon überzeugt, dass die rasante Entwicklung der Plattform und die gesellschaftliche Adaption der Sharing Economy nicht mehr aufzuhalten ist.“ „In Kombination mit immer günstigeren Reisemöglichkeiten, wie z.B. Easy-jet/Ryanair und Unternehmen wie Flixbus, wird das Reisen immer weiter demokratisiert und ermöglicht es inzwischen allen Gesellschaftsschichten neue Regionen zu erkunden.“ Dagegen anzusteuern ist nicht leicht. Aber in kleinen Schritten vor Ort ist es die einzige Möglichkeit dagegen Widerstand zu leisten. Verhindern wir, dass Airbnb zur Goldgrube für „engagierte“ Gastgeber wird und das die Autoren der Bücher nicht Recht behalten. Aber Airbnb schläft nicht, es hat seine Fühler schon in neue Gefilde ausgestreckt, um der Hotelbranche Dampf zu machen. Im März 2019 erwarb das Unternehmen mit HotelTonight eine Vermittler App von Last-Minute-Angeboten im Bereich Hotelzimmer. Mit dem Kauf von Luxury-Retreats war das Angebot im Jahr 2017 um einen Vermittler von Luxus-Anwesen erweitert worden, der rund 4000 Refugien in ca. 100 Ländern im Angebot hat. Damit hat Airbnb nun endlich für sich den Bogen geschlossen zwischen Rucksacktourismus und Rückzugsorten für höchste Ansprüche der solventen Gesellschaft.

Wie verdient Airbnb eigentlich „sein“ Geld?

Irgendwie eine interessante Frage: Wie hat Airbnb es überhaupt geschafft so viel Geld anzuhäufen und woher kommt das Geld? Airbnb finanziert sich über eine Service-Gebühr, die bei jeder erfolgreichen Buchung sowohl vom Gast als auch vom Gastgeber automatisch einbehalten wird. Für Gäste liegt diese Gebühr zwischen 6 – 12 %. Für Gastgeber (je nach eingestellter Stornierungsbedingung) zwischen 3 – 5%. Es ist kaum zu glauben wie wenig Reflexion bei den Autoren darüber herrscht, was Tourismus mit den historischen Städten macht. Jetzt hat auch Prag die Reißleine gezogen. Laut Medienberichten sollen mittlerweile dort rund 5000 Wohnungen in der Innenstadt über Airbnb angeboten werden. Das wäre ein Drittel aller Wohnungen im ersten Prager Bezirk. In der gesamten Stadt sollen es nach Schätzungen gut 13.000 Wohnungen sein, aber genau weiß man das nicht, es können auch mehr Prager Wohnungen sein, die über die Internetplattform vermietet werden. Für Prager sind die Wohnungen mittlerweile unbezahlbar geworden. Laut MDR Aktuell muss man im Durchschnitt für eine 60 qm Wohnung in der Prager Altstadt 1.040 € kalt bezahlen. Bei einem Durchschnittslohn von 1.660 € ist das unbezahlbar. Wer in der Innenstadt eine Wohnung kaufen will, zahlt gut 8.000 € pro Quadratmeter. Wenn man dann die eigene Wohnung an Touristen vermietet, kann man das Drei- bis Vierfache einer gewöhnlichen Monatsmiete erzielen. So eine Entwicklung nennt man dann „Overtourism“.

Aber zum Glück rührt sich überall in den Städten Widerstand. Auf der einen Seite von direkten Nachbarn wie z.B. in Köln im September 2018 oder in den Stadtverwaltungen, die das Problem mit den Ferienwohnungen in Innenstädten auch endlich erkannt haben. Beispiele gibt es aus Paris, Prag, Köln, Amsterdam, Barcelona und vielen anderen attraktiven Städten, auch aus Berlin. Dort werden mehr Wohnungen und Zimmer über die Plattform vermietet als in Hamburg, München, Köln und Frankfurt zusammen. Damit ist Berlin die unangefochtene Airbnb-Hochburg in Deutschland. Auf Grundlage von Daten, die Airbnb offen zugänglich macht, werden in Berlin an jedem Tag rund 11 700 Wohneinheiten zur Miete angeboten. Werden nur komplette Wohnungen und keine Zimmer gezählt, so sind es immer noch 7 714 Angebote. (http//airbnbvsberlin.de). Aber das sind Zahlen von 2014, die haben sich schon immens gesteigert. In Köln ist am 1. Juli 2019 eine neue Wohnraumschutzsatzung in Kraft getreten. Die Kampagne nennt sich: „ Zum Wohnen gebaut – Wohnungen sind keine Touristenunterkünfte“. Damit sollen Wohnraumzweckentfremdungen in Zukunft besser verhindert werden können. Die Zukunft wird zeigen, ob das wirklich hilft. In Paris versucht die Bürgermeisterin der Stadt Airbnb mit einer Millionenstrafe in ihre Schranken zu weisen. „Illegale Touristenunterkünfte, die die Mietpreise erhöhen und die Bewohner belästigen: Es reicht!“. „Ich habe beschlossen, die Webseite zur Verantwortung zu ziehen“. So die Bürgermeisterin Anne Hidalgo auf Twitter. Airbnb riskiert eine Geldstrafe von 12,5 Mio. Euro. Das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück (Spiegel.Online 10.2.2019).

Aber das Unternehmen ist auch sonst im Moment berechtigten Anfeindungen ausgesetzt. Da wo noch Einwohner sich ihre Umgebung mit Touristen teilen müssen, kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen wegen Ruhestörungen oder belästigenden Partys über das gesamte Wochenende. Deshalb will Airbnb jetzt die Ruhestörer, aber auch gleich alle anderen Touristen, die alle nichts davon wissen, einem Scoring-Verfahren unterziehen. Scoring-Software, die die Vertrauenswürdigkeit und die Persönlichkeit von Personen einstuft, könnte potentielle Risikopersonen bereits im Vorfeld entdecken. Patentdokumente, auf die jetzt der „Evening Standard“ aufmerksam gemacht hat, offenbaren, wie solch ein Verfahren theoretisch funktionieren könnte. Die Patentanmeldung stammt vom Start-up Trooly, einem Unternehmen, das 2017 von Airbnb übernommen wurde. Bereits 2015 gehörte Airbnb zu den ersten Kunden des von drei indischen Unternehmen in Kalifornien gegründeten Start-up. Das gesamte Verfahren wird von Spezialisten wie z.B. Matthias Spielkamp von der Bürgerrechtsorganisation AlgorithmWatch für sehr fragwürdig gehalten (Airbnb: So könnte Software für Airbnb Nutzer-Persönlichkeiten einschätzen – Der Spiegel – Netzwelt vom 07.01.2020). Aber auch auf der Ebene muss der Widerstand noch vergrößert werden. Und so toben die Auseinandersetzungen auf allen Ebenen. Die Hauptaufgabe liegt dabei allerdings bei den Aktivist*innen. Denn die staatlichen Stellen sind oft eher ambivalent. Sie sind an Einkünften aus Steuern interessiert, wenn sie denn gezahlt werden und oft sogar an den Vertreibungseffekten, die die Sozialstruktur in ihrem Sinne aufbessern. Wir haben schon viel in unseren Städten auf die Beine gebracht. Worauf es jetzt auch noch ankommt, ist unseren Widerstand durch überregionale Zusammenarbeit zu verstärken. Packen wir’s an!!

2.1 „Wohnrauf für alle!“

2.1 „Wohnrauf für alle!“

Die Perle unserer1 Besetzungsaktivitäten war zweifellos die „Zülpi“, da wird mir jede“r) meiner Freund*innen vorbehaltlos zustimmen. „Zülpi“ steht für „Zülpicher Straße Nr. 97“. Die Zülpicher Straße ist eine der typischen von Kölns Römerzeit geprägten Radialstraßen, die von Köln wirklich zu dem zig Kilometer entfernten „Zülpich“ hinführt. Nr 97 war ein seit Jahren leerstehendes für Kölner Verhältnisse (Köln ist eine Mäusestadt mit einem grotesk-gigantischen Dom) ungewöhnlich großes Wohnhaus mit 22 Wohneinheiten mit einem wesentlich kleineren Nebenhaus) Es war schon einmal „symbolisch“ mit der Absicht besetzt worden, auf den Skandal des Leerstands hinzuweisen. Wir dachten, „symbolisch“ reicht nicht, das geht der Stadt am Arsch vorbei. Und so besetzten wir das Haus am Freitag Abend, dem 15. Dezember 2015 in Besetzer*innen-Routine, quasi nach virtuellem Handbuch: Transpis raus, bewohnbar machen (Strom, Wasser etc.), Tür befestigen, Unterstütz*innen mobilisieren, Presse:etc.etc.

Die Schmier (so heißt die Polizei in Köln) war sofort da, in Gestalt der Robos und zwar in voller Montur mit Folterbesteck. Als sie begann, die rot/weißen Absperrbänder um die Zülpi rumzuziehen, war klar, was das hieß. Es kam zunächst die Aufforderung, das Haus zu verlassen. Wir forderten dagegen Verhandlungen mit dem Eigentümer, die Polizei gestand sie zu aber erst morgen, wenn wir jetzt sofort aus dem Haus gingen. Soweit so Schema XY, das kennen alle Besetzer*innen, warum erzähl ich das überhaupt? Darum:

Wir gingen nicht raus Und das hieß eigentlich: Wenig zarte Robo-Räumung, wahrscheinlich mit Verletzungen. Aber das war eine Rechnung ohne den Wirt. Der Eigentümer war noch immer traumatisiert wegen des einen Todes einer Passantin durch ein herabfallendes Fenster. Er scheute weiteres Blut auf seinem Haus. Die Robos zogen also unverrichteter Dinge äußerst missmutig ab (Erst holt man uns und dann is nix…).Das heißt lange noch nicht, dass wir drin bleiben konnten. Aber Weihnachten stand bevor und es kam darauf an, die Sache möglichst an das Fest der Liebe und des Wohlgefallens auf Erden ranzuschieben. Das gelang mit Haken, Ösen und Tricks, die hier langweilen würden. Und so hieß es, als sich der Geruch von Liebe, Rievkoche (Reibekuchen=Kartoffelpuffer) und Bratäpfeln unabweisbar verdichtete: „Vor Weihnachten wird nicht geräumt“. Wir hatten gewonnen, denn dann es zog es sich. Ich will damit niemanden langweilen.

Wir und die mit uns befreundeten Linken hätten so ein großes Objekt niemals nutzen können und auch nicht wollen. Mit Hilfe einer den Notleidenden gegenüber wohlwollenden Kontaktperson in der Verwaltung und eines bekannten Ratsmitglieds ist es uns nach rund sechs Monaten Besetzung gelungen, eine Superlösung zu erreichen. Die Stadt trägt die Kosten der Sanierung und erhält d as Haus für 30 Jahre zur Pacht. Die Wohnungen werden an geflüchtete Mütter mit Kind(ern) zu einem Mietzins vermietet, der durch Sozialhilfe voll getragen wird, sodass die Geflüchteten keine Kosten haben. Und das Bonbon für uns: Wir kriegten das Nebenhaus für wohnungslose Genoss*innen und linke Veranstaltungen. Ein Fest nach einem Jahr bewies uns: die Familien waren glücklich. Also alles rundum paletti, Zeit für die Besetzer*innenrente. Aber:

Die größte Antiperle, das traurigste, bis heute schwärende schwarze Loch in der jahrelangen Kette der „Wohnraum-für alle“-Besetzungen war Karthäuserwall 6, ein zweistöckiges Haus im angesagten Severinsviertel mit schönen Räumen und am mittelalterlichen Stadttor. Das Haus war nicht baufällig, sondern kerngesund. Das Recht zur Kündigung und die darauffolgende Abrissgenehmigung wurde nur mit unzureichender Verwertungsmöglichkeit gegenüber der geplanten Bebauung begründet. Das „Recht“ tut das und dafür gehört es zur Rechenschaft gezogen. Die Besetzung war kunstgerecht wie immer und das Fest der Besetze*innen und Anwohner*innen bis tief in die Nacht sehr vergnüglich. Das Haus wurde drei Wochen lang gehalten, die Räumung und anschließende Zerstörung des Hauses waren bitter. Noch bitterer allerdings ist die Tatsache, dass das Grundstück viele Jahre danach noch immer nicht bebaut ist – eine hässliche zur Abwehr einer Besetzung (!) umzäunte leere Fläche. Der alljährliche Trauertag zum Gedächtnis treibt unseren Wutschaum zu den Ohren raus.

Der beschämendste Besetzungsversuch galt der seit Jahren leerstehenden Volkshochschule, zentral gelegenen, groß und im höchsten Maße lecker. Wir wollten viele Leute dabei haben und haben vorher ein Treffen im weit entfernten Naturfreundehaus mit vielen Besuchern veranstaltet., um von da aus mit der U-Bahn zum Objekt unserer Begierde zu fahren. Nun ist die Schmier auch nicht doof und hat vermutet, dass was amBach war und in Unkenntnis des Objekts jeden unserer Schritte verfolgt, soweit, bis es klar war. Als wir ankamen, stand da die Schmier und wir sahen reichlich belämmert aus. Dä !! Sagen die Kölner*innen dazu.

Die versöhnlichste Besetzung war die in Ossendorf in einem Wohngebiet von dem Knast (naja), aber gut in Schuss. Die Eigentümerin, eine Genossenschaft, wollte das Gebiet neu bebauen und aufwerten. Unsere Besetzung, wie oft mit Musik begleitet von Eva und Detlef, wurde von Robos postwendend mit Räumungsandrohung. Aber wieder einmal, der unbekannte Faktor. Auch der Genossenschafts-Chef wollte kein Blut aus seinem Vorhaben – Genossenschaften sehen sich ja im Reich des Guten. Nur: die Robos hatten uns eingekesselt und ließen den auch anwaltlich tätigen Detlef nicht zu ihm durch bis er gegen die gepanzerte Kette anrannte. Der Chef erklärte, er wolle ein Gespräch und so konnte der Oberrobo nichts machen. Ergebnis: Die Genossenschaft verspricht Mietverträge mit niedriger Miete für drei und sogar mehr Romafamilien und hat das Versprechen auch gehalten, sogar das „mehr“. Mehr hätten wir auch nicht rausholen können. Versöhnlich das Ganze, es hatte die kleine Feier verdient. 

In all das waren weniger erfolgreiche Besetzungen eingestreut, deren Berichte hier nur runterziehen würden. Außerdem eine gut gelungene „Fette Mieten-Party“ in karnevalsartiger Verkleidung zur Sprengung der von einer affig gestylten (nicht gegen Affen !!) Maklern veranstalteten Wohnungsbesichtigung mit exorbitanten Mietvorstellungen. Das war gut getimed. Denn als wir abrückten, fuhr die Schmier an uns vorbei. Die Besichtigung platzte natürlich, wofür auch die anrückende Schmier sorgte. Ich sags doch, die Polizei, Dein Freund und Helfer.

Darüber hinaus haben wir mehrere so genannte „soziale Kampfbaustellen“ (Wortschöpfung einer Genossin mit vielen guten Einfällen) auf Kölner Grünflächen veranstaltet, um Menschen mit Sorgen kennen- und soziale Auseinandersetzungen einschätzen zu lernen. Bei einer wollten wir überausgebeutete Roma kennenlernen, die sich auf dem Tagelöhnerstrich verdingten und mit Frauen und Babies in Autos und Zelten lebten, sogar im Winter. Das klappte, die Diskussion war super und endete mit einem go-in im Rathaus, das die Roma unter Versprechen verließen, die nie gehalten wurden. Und mit einer anschließenden Demo auf dem Domvorplatz beendeten. Ihre Idee, wir hatten nix damit zu tun, staunten und freuten uns.

Das war der Auftakt zu einer gemeinsamen Besetzung in Köln-Mülheim, die aus rechtlichen Gründen (einige waren illegal schon länger drin und nicht geräumt worden, es brauchte also ein Räumungsurteil) und weil der schon angesprochene nette Mensch aus der Verwaltung diese Rechtsansicht mittrug. Das wiederum führte zu einem gemeinsamen go-in im Bezirksrathaus zwecks Ermöglichung von Anmeldungen, mit der Folge von Sozialleistungen, was vor allem den Kiddies zugute kam. So waren alle happy.

1 Wenn ich sage: „unsere“ oder „wir“ so heißt das: „Wohnraum für alle“ wurde von wechselnden namentlich unbestimmten Aktivist*innen wiederholt als eine Art Label benutzt, obwohl er eine oder andere schon lange Besetzungen durchführten.

2.0 Kampf um Stadt

2.0 Kampf um Stadt

So nennen wir unsere Bemühungen, in der Radikalität von Begriff und Widerstand dem Gewaltniveau des kapitalistischen Angriffs in der Stadt etwas entgegenzusetzen. Wir ziehen das dem Etikett „Recht auf Stadt“ vor. Denn die Berufung auf „Recht“ scheint uns unangebracht in einer Zeit, das „Recht“ ein zentrales Kampfmittel der Vertreibung darstellt und das Verlangen nach Teilhabe an der Stadt erst mal sagen muss, wessen „Stadt“ gemeint ist. Wir stellen nicht infrage, dass die Freund*innen, die dieses Motto benutzen, das selbst wissen. Aber wir möchten erst gar keine Unklarheiten aufkommen lassen.

Dieses Projekt beschäftigt sich mit den gegenwärtigen Formen der kapitalistischen Kampfstrategie in der Stadt. Sie geht weit über das hinaus, was sehr undeutlich als „Gentrifizierung“ bezeichnet wird. Vertreibung ist nicht bloß Resultat der privaten Profitgier. Sie ist das Ziel. „Austausch der Bevölkerungsqualität“ hieß das schon in der ersten Phase der „Gentrifizierung“ vor über 30 Jahren schon im etwas unbeholfenen Kölner Behördensprech. Was war damals der Grund und Hintergrund? Und was ist er heute.? Grob gesagt: Die sozialpolitischen Agenten des Kapitalismus passen die Stadt den strukturpolitischen Anforderungen von kapitalistischer Herrschaft und Ausbeutung an. Im Prozess der Profitmaximierung natürlich. Aber das ist ja immer so. Sie richten die Stadt erneut zu. Oder besser: die Stadtbewohner*innen. Wir werden dies im geschichtlichen Rückblick auf den Angriff der fordistisch/tayloristischen Strukturpolitik auf die Stadtbewohner*innen exemplarisch darstellen..Die Stränge, Komponenten und zeitgeschichtliche Dynamik dieser Zurichtungsoffensive sind das Thema der Ausgabe. Aus der Perspektive der Bewegungen von unten begreifen wir sie in ihrer übergreifenden Globalität bis in die Townships Südafrikas, also entsprechend unserem Plan mit dem Schwergewicht auf das europäische/afrikanische Gefälle.