von Detlef Hartmann
Die Kriegsökonomie hat Russland aus der Stagnation und Krise geholt und entfaltet ähnliche Wirkungen auch nach außen, ganz in Übereinstimmung mit historischen Kriegsökonomien, z.B. der deutschen im 1. und 2. Weltkrieg.
Russland hat die Kriegsproduktion enorm hochgefahren. Es produziert inzwischen in drei Monaten so viele Waffen und Munition wie alle Länder der EU zusammen in einem Jahr. Polen eingeschlossen, das an die 4% des BIP für das Militär ausgibt. Das ist das vorläufige Endstadium einer Entwicklung, in der Putin die Bahnen einer marktförmigen Versorgung zugunsten einer immer strafferen Organisation eines nach dem Zerfall der SU neuen militärisch-ökonomischen Komplexes (MIK). Hintergrund ist die seit über 200 Jahren noch immer aufrechterhaltene Kultur des preußischen Großen Generalstabs, die die Staatsorgane an eine zentrale militärische Organisation anbindet und zum Zentrum der Versorgung macht. Nach einer Liberalisierung und tendenziellen Reprivatisierung unter Jelzin begann das Verteidigungsministerium unter Putin 2003, den MIK wiederherzustellen. Die Iwanow-Doktrin orientierte die Kriegsbereitschaft an der Fähigkeit, zwei regionale Kriege und die Maßnahmen einer friedenssichernden Operation ohne Mobilisierung gleichzeitig durchzuführen, gesichert durch die Militärreform von 2008. Ohne ihre Vollendung wurde der Überfall auf die Ukraine begonnen. Während des Kriegs wurde der MIK weiter vorangetrieben. Hierzu wurden Gesetzesinitiativen in die Hände innerparlamentarisch gebildeter Körper gelegt und an den militärischen Erfordernissen orientiert. Die Versorgung mit Kriegsmaterial sichern im staatlichen Eigentum (teils direkt des Verteidigungsministeriums) aber auch in privatem Eigentum stehende Fabriken. Die Mobilisierungsgrade hängen vom Charakter des Konflikts ab.
Die Hoffnungen, die russische Wirtschaft würde zusammenbrechen, haben sich nicht erfüllt. Zwar lösten die Sanktionen anfänglich einen Schock aus. Es kam zu Knappheiten bei Konsumgütern, benötigten Rohstoffen und Komponenten. Die Inflation stieg im April 22 auf 17,8%. Aber die Leitzinsen wurden drastisch von 9,5% auf 20% erhöht und die Exporte stiegen, begünstigt durch die steigenden Weltmarktpreise von Öl und Gas unbeeinträchtigt von Sanktionen von März bis Mai 22 auf 154 Mrd. $ bei mit 54 Mrd. $ zurückbleibenden Importen. Die Lieferwege vieler für Produktion und Konsum benötigter Waren wurden umgestellt, reorganisiert über Drittländer, die weiterhin hohen Energiepreise spülten hohe Steuereinnahmen in die Staatskasse, sicherten die Ausgaben für Militär und Rüstungsproduktion und stützten die Konjunktur. Die russische Wirtschaft erholte sich schnell vom anfänglichen Einbruch des BIP um 6%. China wurde zum entscheidenden Handelspartner, auch auf technologischem Sektor, hier durchaus unter Weiterverkauf westlicher Technik, wie z.B von Halbleitern (Intel, Samsung, Infineon) im Wert von monatlich 200 Mio. $.
Seit der Invasion hat sich der Militärhaushalt verdreifacht, auf den Verteidigungshaushalt entfallen mit 6 Billionen Rubel 40% der Staatsausgaben, verglichen mit 14%-16% vor 2022. Festgehalten in einer jahrelangen krisenhaften Stagnation wuchs das BIP 2023 auf 3,6%, erwartet werden dieses Jahr 2,5%-3%. Die Realeinkommen stiegen 2023 um 5,8%, die Löhne haben sich – bei großen regionalen Unterschieden – im verarbeitenden Gewerbe mehr als verdreifacht, in manchen Fällen sogar verfünffacht, flankiert von den steigenden über den hohen Sold hinausgehenden Ausgaben für Soldaten und ihre Familien. Die Arbeitslosigkeit hat mit 3% einen historischen Tiefstand erreicht, zurückzuführen auch auf einen Exodus von 1 Million Gutausgebildeter schon im ersten Kriegsjahr, ein regelrechter brain drain.
„Kriegskeynesianismus“ wird der Boom inzwischen genannt, nicht ganz unberechtigt, als ja der Keynesianismus ein Produkt des 2. Weltkriegs war. Wie damals, so beschränkt er sich auch heute nicht auf die wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Er ist Teil einer langfristigen politischen Strategie, die insbesondere von den nationalkonservativen Fraktionen der russischen Elite vertreten wird: Verringerung der Abhängigkeit vom Rohstoffexport, Stärkung der multipolaren Weltordnung, Aufgabe der monetaristischen Finanzpolitik, Einführung der Kapitalverkehrskontrollen, Entkoppelung vom Westen, wirtschaftliche Ausrichtung Russlands nach Asien.
Der Kriegskeynesianismus hat seine soziale Basis in breiten Schichten der Bevölkerung, deren Interesse an seiner Fortsetzung einer Friedenslösung entgegensteht.
Außenwirkung der russischen Kriegsökonomie
Auf die Bedrohung aus Russland reagiert Polen mit der eigenen Aufrüstung. Nicht ohne Grund. Denn für Putin ist der Zerfall der Sowjetunion ein Stachel im Fleisch. Sein langfristiges Ziel ist die Wiederherstellung eines ähnlichen Staatenbunds. Polen will erklärtermaßen bis 2035 die stärkste Landstreitmacht in Europa werden. Mit 3,9% des BIP war der polnische Verteidigungshaushalt 2023 fast doppelt so hoch wie das Nato-Ziel von 2% für jedes Land. Auch wenn das noch unterhalb der Schwelle einer Kriegswirtschaft ist, so zeigt sich eine konjunkturelle Belebung auch hier. Das ist die typische Wirkung eines kriegsökonomischen Konjunkturexports über Feindesgrenzen hinweg, wie die Entwicklung der USA, Frankreichs und Englands vor und im 1. Und 2. Weltkriegs zeigt. Ähnliche, wenn auch noch schwache grenzüberschreitende Auswirkungen zeigen sich auch in Tschechien oder Rumänien. Dass darauf auch für die EU spekuliert wird, zeigt die Aufforderung des EU-Industriekommissars Thierry Breton: „Europa muss sich auf einen Kriegswirtschaftsmodus umstellen“.
Ende der russischen Kriegsökonomie?
Russland stünde vor einer Stagflation, einer unheilvollen Kombination von Inflation und Stagnation, heißt es nicht nur aus westlichen Wirtschaftskreisen, sondern auch aus dem russischen Zentrum für makroökonomische Prognose (CMASF). In Russland, so vom CMASF, wird die Verantwortung für das schwache Wachstum den von der Zentralbank verordneten – sie ist nur dem Parlament verantwortlich – hohen Zinsen zugeschoben. Diese wiederum verweist auf „externe Faktoren“ wie Sanktionen und nachlassende Ölpreise und prognostiziert für 1925 ein Wachstum von 0,5-1,5%. Von anderen wird auf steigende Kosten verwiesen. Das bedeutet noch nicht das Ende der Kriegsökonomie. Die Verhältnisse sind aber unklar. Wir werden weiter berichten.