Krisenticker #2

Desmond Lachman, den wir als ehemaligen IWF-Funktionär und Mitglied des American Enterprise Institutes kennengelernt haben, misst der ökonomischen Krise in Italien zu Recht ein ominöses Gewicht nicht nur für den europäischen, sondern auch dem globalen Krisenprozess zu. Auf dem italienischen Terrain jedoch brauen sich nunmehr atemberaubende Entwicklungen zusammen. Lega-Chef und „hinter“ Präsident Guiseppe Conte der Vizepräsident und Innenminister Salvini als der eigentliche starke Mann im Kabinett beharrt mit unverminderter Aggressivität auf dem Plan, durch weitere Verschuldung Italien zu mehr Wachstum zu verhelfen. Bemerkenswert ist dabei, dass die staatliche Verschuldung zwar auf die exorbitante Höhe von 132,6 % im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt gestiegen ist (erwartet wird bis Jahresende 133,7%), Wachstumsmaßnahmen jedoch noch gar nicht eingeleitet wurden, wie die Zeitung Reppubblica kürzlich vorgerechnet hat. Die Krisendynamik wird nunmehr von folgenden Momenten bestimmt:

Die EU-Kommission empfiehlt erneut die Einleitung eines Defizit-Verfahrens. Schlussendlich können Bußgelder, Streichung von EU-Geldern etc.verhängt werden. Dazu ist es bisher noch nie gekommen. Es würde wegen des Hin-und-Hers von Stellungnahmen etc. lange dauern und bereitet für sich genommen der Regierung weniger Sorgen. Sorgen machen sich zumindest Conte, Finanzminister Tria und vor allem die italienische Industrie wegen der mittelbaren Wirkungen. Die wichtigste liegt darin, dass die Rating-Agenturen (Moody’s, Standard&Poor’s, Fitch, auch DBRS) die Bewertung der italienischen Staatsanleihen, die bisher knapp über der „Ramsch“-Linie gehalten wurde, auf „Ramsch“ setzen könnte. Das hätte fatale Folgen. Zentralbanken und hier die bisher ultra-großzügige EZB („quantitative easing“) dürften sie nicht mehr kaufen, um der italienischen Regierung frisches Geld zu geben. Doch Salvini pokert weiter mit der Aussicht, dass dann die globale Krise ausbrechen würde, ein Crash in noch größeren Dimensionen als 2007/08. Der Poker lautet: „Wenn ihr mich sterben lasst, seid Ihr selber dran!.“ Doch in den (amerikanisch geprägten) Rating-Agenturen rumort es auf dem Hintergrund der Risikobereitschaft Trumps, dem allerdings der von ihm selbst eingesetzte Fed-Vorsitzende Jerome Powell nicht mehr folgen mag, auch nicht die Mehrheit der anderen Gouverneure.

Die gesamte Anspannung wird noch dadurch gesteigert, dass die globale Nachfrage (Kapital- und Konsumgüter gleichermaßen) weiter nachlässt mit der Folge, dass sogar die deutsche Wirtschaft durch das Sinken der Exporte trotz Stützung durch die Binnennachfrage zunehmend unter Druck gerät.. 

In dieser Situation hat Salvini jetzt eine weitere Offensive lanciert mit erheblich krisentreibender Wirkung. Ihre Konsequenzen sind noch gar nicht abzusehen. Er denkt daran, eine neue Verschuldensform als Teil des neuen Fiskalgesetzes einzuführen, unter dem Namen „mini-Bot“. Das sind massenhaft gedruckte Schuldpapiere, die wie Banknoten aussehen und auch so benutzt werden sollen. „Das alternative Geld benutzen wir wie Monopoly“, sagt Salvini dazu. Mario Draghi wies sofort darauf hin, dass eine alternative Parallel-Währung rechtlich verboten ist. „Nein, nein“, ließ sein Lega-Parlamentarier und Finanzspezialist Claudio Borghi reichlich spöttisch in einem Stampa-Interview vom 8.6. verlauten, „das ist ja gar kein Geld, denn eine parallele Währung wäre ein Desaster. sondern nur eine „cartolarizzazione di crediti esistenti“, eine „Verpapierung von Schulden“. Allerdings präsentierte er diese kartolinisierte Schuldform der Presse stolz in ihrer Banknotenform. Mit ihnen sollen, so Borghi, die Schulden der Regierung bezahlt werden. 

Seitens der Unternehmer*innen traf dieses Ansinnen, Schulden mit Schulden in Monopoly-Form zu begleichen, auf geballte Ablehnung. Der Vizepräsident des Unternehmerverbands der Digitalwirtschaft (Confindustria digitale) und selbst CEO von „Digital Magics“ Marco Gay spottete in einem Interview mit dem Corriere de la Sera (8.6.): „Sie (die Unternehmer) bezahlen Rohstoffe und Kapitalgüterlieferanten in Euro. Glaubten die etwa, ein deutscher Lieferant würde sich in mini-Bot bezahlen lassen? Mini-Bot, die ohnehin im Wert verfallen würden?… Kein Scherz, die mini-Bot könnten die Tür zum Austritt aus dem Euro sein. Und für die Unternehmen wäre das ein Desaster“ Ähnlich ablehnend äußerte sich der Präsident der Jungunternehmerverbands Alessio Rossi am gleichen Tag gegenüber La Stampa anlässlich einer Jungunternehmerkonferenz in Rapallo. Unternehmen brauchten für ihre Entwicklung die Teilhabe an einer offenen, auch hinsichtlich der Währungen vernetzten Welt, Italien würde sonst auf der Ersatzbank sitzen bleiben.

Die Befürchtungen Gays sind allerdings alles andere als unberechtigt. Die Lage könnte sogar ernster werden. Wir wissen aus der Geschichte des 20.Jahrhunderts, dass als Geld behandelte staatliche Schuldscheine (wie in Deutschland z.B. Reichskreditkassenscheine) ein Mittel bzw. eine Begleiterscheinung der Zertrümmerung einer ganzen globalen ökonomischen Ordnung darstellten.1 Salvinis Vorstoß erinnert zwar an die „mini-assegni“, die zu Zeiten der „Währungsschlange“, Vorform der Euro-Währungsunion, gegen deren Anforderungen eingeführt worden waren, als Italien in den Euro wollte. Jetzt, in Anbetracht des Konflikts mit dem Euroregime, ist die Offensive gefährlicher und raffinierter, als es an der Oberfläche den Anschein hat und, wie wir denken, langfristig angelegt. Und grundsätzlich. Denn den neuen Geldtheorien zufolge, ist „Geld“ aus Schulden hervorgegangen und während des Goldstandards war die Banknote der Schuldschein für eine zu leistende Menge Gold oder Silber. So sind die mini-Bots beides: Schulden und eine Währung. Potenziell zerstörerisch und als Durchbruch in eine von den Fesseln des Euro befreite Zukunft geeignet.

Auf jeden Fall ist Streit vorprogrammiert: Salvinis neues Finanzgesetz wird voraussichtlich die Verpflichtung der Banken begründen, die mini-Bots in Euro einzulösen. Die Frage wird sein: kann eine Diskontierbarkeit, eine Einlösbarkeit bei der italienischen Zentralbank und weiterhin bei der der EZB begründet werden, die allein letztlich Cash bringen kann? Wie auch immer die Hindernisse aussehen werden: einmal in den Ring geworfen, wird die Idee weiter verfolgt werden. Spätestens in einem zugespitzten Krisenstadium.

Krisenticker wird dies verfolgen und berichten.

1 Ausführlich geschildert in D. Hartmann, Krisen, Kämpfe, Kriege, Bd. 2, Innovative Barbareien gegen soziale Revolution. Kapitalismus und Massengewalt im 20. Jahrhundert, S. 182 ff., 516 ff., 535 ff.